Durchkriechen

Aus Mittelalter-Lexikon
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durchkriechen, -ziehen, -laufen. Schon in fma. Bußbüchern genannte zauberische Heilzeremonie, bei welcher der Patient in Gänze oder nur der kranke Körperteil durch einen gespaltenen Baumstamm – vorzugsweise einer jungen Eiche – gezwängt wurde. Die auseinanderklaffenden Stammhälften wurden anschließend wieder zusammengefügt und verbunden, und mit dem Zusammenwachsen des Stammes verschwand auch das zu heilende Leiden. Andere Arten des Durchziehens benutzten Erd- oder Steinlöcher („Kriechstein“, „Schlupfstein“, „Lochstein“) oder torartig aufgestellte Rasenstreifen („Rasengang“, s. Gottesurteil). Wieder andere Heilriten bestanden darin, dass der erkrankte Körperteil, etwa eine Hand oder der Kopf, in einen durchlöcherten Stein steckte. Das Steinloch konnte natürlichen oder künstlichen Ursprungs sein, am wirksamsten war es, wenn es sich in einer Kirchenmauer, einem Grabstein oder einem Altarsockel befand. Bei allen Riten dieser Art waren Tageszeit und Mondphase zu beachten, musste Schweigen gehalten werden oder wurden Zaubersprüche bzw. Gebete gesprochen, sollte der/die zu Heilende nackt sein.
Die dem Brauch zugrundeliegende Idee dürfte gewesen sein, beim Durchzwängen durch einen engen Pass, dem Geburtskanal vergleichbar, anhaftendes Übel (Krankheit, Verwünschung, Sündenlast) abzustreifen.
Durchkriechsteine finden sich in vielen Gegenden Europas. Als Beispiele seien genannt:
das Schlupfgrab des hl. Otto, Bischof von Bamberg, in der dortigen Michelskirche;
der „Schlupfstein“ unter einem tischähnlichen Überbau in der Wallfahrtskirche St. Wolfgang (14. Jh.) bei 83352 Rabenden im Chiemgau;
das als „Teufelskanzel“ bezeichnete Felsgebilde oberhalb von 93077 Bad Abbach an der Donau;
der aus der Mauer ragende Sarg des hl. Nonnosus in der Domkrypta zu Freising, an dessen unterer Steinplatte man den Rücken gegen Schmerzen reiben muss;
der Schlupfaltar in der Sakristei der evang. Wolfgangskapelle in 90530 Röthenbach bei St. Wolfgang im Dekanat Schwabach.
der Durchkriechstein der St. Wolfgangskapelle auf dem Falkenstein-Pass (Oberösterreich, oberhalb des Wofgangsees);
der Schlupfaltar in der Pfarrkirche St. Kolonat in Koppenwall bei 84076 Pfeffenhausen Lks. Landshut;
das steinerne Hochgrab des St. Morandus im Inneren der Eglise Saint Morand in Altkirch (Elsaß), welches zwei zwei Löcher aufweist, in die vom Kopfweh geplagte Leute ihre Hände steckten, um geheilt zu werden.
In weiterem Sinn gehören hierher auch die abergläubischen Bräuche des ®Notfeuers, durch welches Vieh getrieben wurde, und des ®Johannisfeuers, durch dessen Flammen paarweise gesprungen wurde.
(s. Erdställe)