Abort

Aus Mittelalter-Lexikon
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Abort (v. mndd. afort = abgelegener Ort; auch schissgruob, sprachhus [wohl nach mehrsitzigen, gesellschaftlich gebrauchten Anlagen, wie sie - nach röm. Vorbild - aus ma. Klöstern bekannt sind], haimbliches gemach, haymlichkeit, privet, privathüslin; mlat. exitus necessarius, necessarium, secessus, privata, camera privata, latrina). Ursprünglicher und auf dem Land wohl bis übers MA. hinaus geübter Brauch war, seine Notdurft auf dem Felde zu verrichten – wie das ahd. feltgang und das mhd. ganc belegt. In den Städten war es ursprünglich nicht unüblich, "pruntz und ander unsawberkeit aus dem haws in das gässlein zu schütten". Die ältesten – üblicherweise mehrsitzigen – Abortanlagen des MA. fanden sich in Klöstern (St. Gallen, Lorsch, Loccum, Bebenhausen, Zwettl), die damit eine röm. Tradition fortsetzten. Erst vom 13. Jh. an lassen sich Aborte häufiger auch in Burganlagen nachweisen, im SMA. auch bei städt. Profanbauten. Sofern sie im Haus – und nicht im Hinterhof – lagen, entleerten sie in einen unterirdischen Fäkalienkasten oder aber nach draußen, nach Möglichkeit in ein Fließgewässer. (Der Erfurter Rat ließ nach einem Beschluss von 1256 alle Aborte abreißen, die direkt in die Gera entleerten.)
Unterirdische Fäkalienkästen in sma. Städten konnten bis zu 8 m tief sein, bis zu 30m³ fassen und mussten - je nach Größe - in mehrjährigen Abständen geleert werden. Dies geschah, der geringeren Gestanksentwicklung wegen, vornehmlich während der kalten Jahreszeit. Die Arbeit des Entleerens des Kastens und der Abfuhr der Fäkalien dauerte mehrere Tage und war entsprechend teuer. Immer wieder geschah es, dass Heymlichkeitfeger an den Fäulnisgasen erstickten oder in den Fäkalien ertranken.
Für moderne Archäologen sind ma. Fäkalienkästen wahre Schatzgruben. Mangels geregelter Müllabfuhr oder auch aus Unachtsamkeit ist Ausgemustertes oder auch noch Benutztes in der Abortgrube gelandet. Fundstücke aus Holz, Leder, Metall, Textilien, Keramik und Glas geben wertvolle Hinweise auf die ma. Alltagskultur.
Im 14./15. Jh. wurden "umme des gemeinen besten willen" (zum Allgemeinwohl) öffentliche städt. Bedürfnisanstalten ("gemeine heimliche gemach") eingerichtet, so u.a. in München, Braunschweig, Hildesheim, Köln, Magdeburg oder Nürnberg. In Lüneburg wurde eigens zur Entsorgung der Abwässer des städtischen „pishuses“ ein Kanal von der Ilmenau abgezweigt. Mancherorts lagen öffentliche Abtritte am Rathaus, anderswo neben Tortürmen auf der Stadtmauer („cloaca prope portam“), waren über eine Stiege erreichbar und entleerten über Schächte in den Stadtgraben (z.B. in Wesel, am Fisch-, Kloster- und Steintor); sie waren wohl ursprünglich zur Benutzung durch die Torwächter bestimmt, wurden jedoch auch von Anwohnern und Passanten aufgesucht. Die Reinigung öffentlicher Aborte besorgten fallweise bestellte Kloakenreiniger oder dauerhaft angestellte städtische Dreckmeister.
Ma. Aberglauben nach galt der Abtritt als verrufener Ort, war er doch bei Teufeln und Dämonen als Erscheinungsstätte beliebt. Dietmar von Merseburg überliefert eine Erzählung, derzufolge einem Abort im Krankenzimmer eines Klosters Dämonen entstiegen und einen Schwerkranken erschreckten.
(s. Abfallbeseitigung, Aborterker, Gasthäuser, Hygiene, Klosteranlage, Ordensburgen, Stadthaus, Umweltprobleme)