Orgel

Aus Mittelalter-Lexikon
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Orgel (mhd. orgel, ahd. orgela, v. mlat. organa, = Plural v. organum [Instrument]). Die Orgel war schon in der Antike bekannt. 250 v. Chr. soll die Wasserorgel („Hydraulis“) erfunden worden sein, bei der das Wasser dazu diente, den mittels Blasebalg oder Pumpe erzeugten Luftdruck konstant zu halten.
Etwa aus der Zeit Kaiser Neros dürfte die wasserunabhängige Blasebalg-Orgel datieren. Pippin d. Kurze erhielt 757 von dem byzantin. Kaiser Konstantin V. Kopronymos wohl die erste Orgel geschenkt, die im Frankenreich ertönte. 812 machte Kaiser Michael I. von Byzanz Kaiser Karl d. Gr. eine Orgel zum Geschenk, die als erste Kirchenorgel im Dom zu Aachen aufgestellt wurde. Die Aufstellung von Orgeln in Kirchen wurde von Kirchenmusikgegnern lange bekämpft. Erst ab dem 13. Jh. wurden fast alle größeren Kirchen mit einer Orgel ausgestattet. Als älteste, voll bespielbare Orgel in Europa gilt die gotische Orgel in der Dorfkirche des ostfriesischen Ortes Rysum (nahe Emden) aus der Zeit um 1457.
Die Orgel besteht aus Metall- oder Holzpfeifen (Pfeifenwerk), einer Gebläseanlage (Windwerk) zur Erzeugung des "Windes" – der verdichteten Luft, welche die Pfeifen zum Tönen bringt – und einer Mechanik, um den Luftstrom zu den einzelnen Pfeifen bzw. zu mehreren Pfeifen gleichzeitig zu lenken (Regierwerk). Bei der Pfeifenstimmung berücksichtigte man nur deren Länge, nicht den Durchmesser („Mensur“), der bei allen Pfeifen fast der gleiche war. Gedeckte („gedackte“) Pfeifen waren am oberen Ende verschlossen; sie klangen eine Oktave tiefer als entsprechende offene Pfeifen. Ein Reihe verschieden großer Pfeifen gleicher Bauart und Klangcharakteristik bildet ein Register. Der Tonumfang eines Registers erstreckt sich über die ganze Klaviatur. Ein in sich geschlossener Registersatz bildet ein Werk. Es gibt Orgeln mit einem oder mehreren Werken, die dann übereinander angeordnet sind. (Größere Orgeln enthalten Haupt-, Ober-, Brust-, Schwellwerk, Rückpositiv, Fernwerk und Pedalwerk von jeweils eigenem Klangeffekt, der als "gravitätisch", "penetrant", "lieblich" usf. charakterisiert wird.)
Die Klaviatur ist mit der Windlade verbunden, über die, entsprechend dem Anschlag des Organisten, die Luft den einzelnen Pfeifen zugeführt wird. Die meist schön verzierte Sichtseite der Orgel heißt Orgelprospekt; er ist eine Entwicklung der Gotik und ähnelt in seinem Aufbau (Gesprenge, bewegliche bemalte Flügeltüren) anfänglich dem got. Schnitzaltar. Im Spielschrank sind die terrassenförmig übereinander angeordneten Manuale und das Pedal untergebracht. (Die berühmte Orgel von Winchester hatte um die Mitte des 10. Jh. bereits 400 Pfeifen. Es waren 70 Männer nötig, um die 26 Bälge zu betätigen, sowie zwei Spieler.)
Das Portativ ist eine kleine tragbare Orgel mit einem Umfang von meist 1 - 2 Oktaven und 6 - 28 Lippenpfeifen, die mit der rechten Hand gespielt wurde, während die Linke den Blasebalg bediente; das Instrument erschien im 11. Jh. und ist im 16. Jh. wieder verschwunden. Das Positiv ist eine Standorgel von geringer Größe für kleinere Kirchen oder für den häuslichen Gebrauch; das Regal ist eine kleine, tragbare Hausorgel von durchdringendem Ton. Die Kirchenorgel wurde im Gottesdienst dazu benutzt, einen Gesangspart, etwa beim Wechselgesang, stellvertretend zu übernehmen (Alternatim-Praxis).
Als älteste zumindest in Teilen erhaltene Orgeln Europas gelten die von Sion in der Schweiz (etwa 1430 - 35), die in dem zum westfälischen Soest gehörenden Ostönnen (zwischen 1425 und 1431), die im ostfriesischen Rysum (1457) sowie die in St. Jacobi zu Lübeck (1466/67) und im hessischen Kiedrich (um 1500).