Raimundus Lullus
Raimundus Lullus (Ramon Llull, 1232 - 1315; "Doctor illuminatus"). Der aus Palma de Mallorca gebürtige Katalane studierte auf Mallorca und widmete sich besonders dem Arabischen, der lateinischen Grammatik und der Philosophie. Mallorca war zu dieser Zeit ein Handelszentrum der Mittelmeerländer und ein Ort des Zusammenlebens von Mohammedanern, Juden und Christen. Lull war Hofbeamter König Jakobs I. von Aragon und Seneschall seines Nachfolgers Jakob II., bevor er im Alter von 30 Jahren nach einer Christusvision unvermittelt seine polit. Karriere, das höfische Leben und seine Familie aufgab und in den Franziskanerorden eintrat, um sich ganz der Missionierung der Juden und Moslems zu widmen. Er war überzeugt davon, dass sich sowohl Muslime wie Juden, orthodoxe und lateinische Christen durch Kontemplation Gott nähern und so zu einer Eintracht im Glauben kommen könnten. Seine Missionsreisen führten ihn nach Nordafrika, Zypern und Sizilien; zwischen seinen Reisen studierte und lehrte er an den Schulen von Montpellier und Paris. In Miramar auf Mallorca gründete er eine Schule, an welcher zukünftige Franziskanermissionare Arabisch lernten und auf ihre Bekehrungsarbeit vorbereitet wurden. Auf einer letzten Missionsreise nach Nordafrika soll er bei Bougie von Muslimen gesteinigt worden sein. (Einer Sage nach weilte er noch 100 Jahre später unter den Lebenden, sagte man ihm doch den Besitz des Lebenselixiers nach.)
Lullus hinterließ ein umfangreiches literarisches Werk an Gedichten, Romanen, wissenschaftlichen und didaktischen Schriften in Latein, Katalanisch und Arabisch. Allein von den Schriften in lateinischer und katalanischer Sprache sind 240 erhalten. Zeitlebens war darum bemüht, das beste Buch der Welt zu schreiben, das durch Wissenschaft (ars) die Wahrheit des christl. Glaubens beweisen würde. - Seine "Ars generalis" oder "Ars magna et ultima" stellt den Versuch dar, alle wissenschaftlichen Probleme durch quasimaschinelle Denktechnik und Begriffskombinationen zu lösen: Auf sieben konzentrischen, gegeneinander verdrehbaren Ringen sind alle möglichen Realbegriffe, Kategorien und Grundsätze vermerkt; durch Verstellen der Ringe ergeben sich zufällige Kombinationen ("mixtiones") geheimen wie offenbaren Sinns, die der Eingeweihte im Sinne einer "ars compendiosa inveniendi veritatem" zur Grundlage der Erkenntnis machen konnte. Derartige Schemata wurden vor allem in der Alchemie und Medizin verwandt. Sie sind der sinnfällige Ausdruck für das scholastische Streben nach universeller Handhabung aller Geistes- und Naturwissenschaften.
In "De mirabilibus" und in der "Ars generalis ultima" äußert sich Raimund kritisch zur Alchemie: Alchymistisch erzeugtes Gold sei "nur scheinbares Gold", und bezüglich der Verwandlung eines Elements in ein anderes "sind die Alchemisten übel dran und haben wohl Ursache zu klagen".
Der Philosoph Lullus wandte sich gegen den Averroismus ("Sermones contra errores Averrois", "Disputatio Raymundi et Averroistae" u.a.) und vertrat die neuplatonische Lehre von der Einheit von Glauben und Wissen. Als Mystiker entwickelte er eine Methode "der Betrachtung Gottes durch die Reinigung des Gedächtnisses, des Verstehens und des Wollens". Als Didaktiker verfasste er eine Erziehungsanleitung für den Ritterstand („Libro de cavayleria“), basierend auf moralischen und religiösen Idealen. Kritisch setzte er sich in „Tractatus novus de astronomia“ mit der Astrologie auseinander; man dürfe von ihr keine exakten Vorhersagen erwarten, da Gottes allmächtiger Wille jederzeit, etwa auf Bittgebete hin, in den aus dem Sternenlauf vorherberechneten Ablauf der Geschichte eingreifen kann. – Mit seinem Roman „Blanquerna“ und anderen literarischen Werken verhalf er dem Katalanischen zum Rang einer Literatursprache.