Heilschlaf

Aus Mittelalter-Lexikon
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Heilschlaf (Heilungsschlaf, Schlaftherapie; incubatio = Tempelschlaf). Erwartete man vom alltäglichen ® Schlaf Erholung und Kräftigung für die Mühen des kommenden Tages, so suchte man in einem kultischen Heilschlaf (incubatio) Befreiung von Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art. Schon in der Antike waren Schlafkuren bekannt; berühmt war das Heilzentrum des Gottes Asklepion (Asklepieion, auf der Insel Kos), in welchem Priester die Hilfesuchenden durch Hypnose in Schlaf versetzten; diesen wurde dann entweder im Schlaf Gesundung (Heilwunder) zuteil oder im Traum Therapeutischer Ratschlag gegeben. (Wunderheilungen im Asklepion sind für das 7./6. Jh. von Homer überliefert.)
Das berühmteste Inkubationsheiligtum der röm. Kaiserzeit (1.–3. Jh. u.Z.) war dasjenige von Pergamon (in der heutigen Türkei).
Der antike Heilgott-Glaube wurde im christl. Glauben auf Jesus Christus übertragen, der als Heiler, Heiland, als Christus Medicus oder himmlischer Arzt verehrt wurde. Von da war nur ein kleiner Schritt zur Anrufung von ® Krankheitsheiligen, auf deren Fürbitte bei Gott man vertraute.
Nachdem Ende des 4. Jh. das Christentum Staatsreligion geworden war, wurde die Praxis des therapeutischen Tempelschlafs als Kirchenschlaf weiter ausgeübt. Viele abgegangene Asklepieia wurden damals mit christl. Kirchen überbaut. So wurde etwa das Asklepieion am Fuße der Akropolis in Athen am Ende des 5. Jh. abgerissen und mit einer großen Kirche überbaut, die den heiligen Ärzten Cosmas und Damian geweiht war. Eine ähnliche Transformation ist für die israelische Hafenstadt Dor (Dor maritima) bekannt. Der wesentliche Unterschied zwischen paganem und christl. Heilkult bestand darin, dass der letztere kostenlos war.
Der Benediktiner Guibert de Nogent (1053-1124) berichtet davon , wie er als kleiner Junge an hohem Fieber erkrankt war und von seiner Mutter in eine Kirche gebracht wurde, um im Beisein zweier Kleriker eine Nacht vor dem Altar des hl. Leodegar zu verbringen. Während der Nacht war die Kirche zu seinem Entsetzen unter großem Lärm in ihren Grundfesten erschüttert worden, er selbst sei aber anderntags so gesund zu seiner Mutter zurückgekehrt, als ob er nie krank gewesen sei.
Auch anderswo erwarteten Wallfahrer heilsamen Schlaf in möglichst unmittelbarer Nähe der in Krankheitsnöten aufgesuchten Kirche, sei es wegen deren Zuwidmung an einen Krankheitsheiligen oder der darin verwahrten Reliquien oder Gnadenbilder („Schreinwunder“).
Ein ärztlich verordneter „Gesundheitsschlaf“ konnte durch pflanzliche Drogen herbeigeführt werden. So gab die heilkundige Arnive in Wolfram v. Eschenbachs „Parzival“ dem kampfeswunden Gawan „Schlafkräuter“ ein, die ihn in einen Schlaf versetzten, aus dem er völlig heil wieder erwachte. Bei diesen Kräutern kann es sich um Alraune (s. Drogen, Narkotika) oder Bilsenkraut (s. ebd.) oder ® Schlafmohn gehandelt haben.