Kastration
Kastration (Verschneidung zu mhd. versniden; münechen bzw. nunnen = ein männl. bzw. weibl. Tier verschneiden, unfruchtbar - "zum Mönch bzw. zur Nonne" machen; lat. putatio, castratio = Entfernung oder Zerstörung der Keimdrüsen). Schon die Germanen kannten die Kastration von Schafböcken, um deren Fettansatz zu steigern und um den Genusswert des Fleisches zu verbessern. Hengste wurden kastriert, um sie zu zähmen und zum Kriegsdienst tauglicher zu machen. Dabei wurde ursprünglich unblutig vorgegangen, indem man die Hoden mit einem Steinhammer zerschlug. Aus der Walachei (Rumänien; benannt nach dem Stamm der Walh) wurde die blutige Kastration übernommen, bei welcher nach der Eröffnung des Hodensacks die Hoden entfernt, der Hengst zum „Wallach“ (mhd. münchphert, münch, halp-ros) gemacht wurde. (Nach anderer Lesart soll die Bezeichnung „Wallach“ auf ahd. walchan = „durch Stampfen bearbeiten“ zurückgehen, was auf das Zerquetschen oder Zerstampfen der Testikel hinweist.)
Wichtigstes Zugtier vor dem Pflug und dem Lastkarren war im MA. das kastrierte männl. Rind, der ®Ochse. Die Kastration von Bullenkälbern erfolgte unblutig durch Zerquetschen der Hoden, Jungstiere wurden mit dem Messer kastriert, wobei die Samenstränge zur Verhinderung von Blutungen zwischen hölzernen Schienen (Kluppen) gequetscht wurden. Außer zur „physiologischen Zähmung“ diente die Kastration männlicher Rinder auch zur Steigerung der Mastleistung (Ochsenmast). Spätkastraten (mit etwa 1,5 Jahren) hatten im Exterieur weniger Kuh-Ähnlichkeit und waren deutlich schneller und temperamentvoller als Frühkastraten (mit etwa 1/4 Jahr).
Männliche Schweine wurden zur Erhöhung der Mastleistung entweder mit etwa 6 Monaten – also vor Erlangung der Geschlechtsreife – kastriert oder mit 3 - 4 Jahren nach Ableistung des Deckgeschäfts. Die Kastration geschah stets blutig. Die Kastration von Jungebern verhinderte die Ausbildung des für Eber typischen Fleischgeruchs und -geschmacks. Juvenilen weiblichen Schweinen entfernten sog. nunnen-macher die Ovarien. Sauschneider (mhd. gelzer; lat. castratores) und Nonnenmacher wurden den ®unehrlichen Leuten zugerechnet.
Zu Kapaunen s. unter Huhn und Hahn.
Entmannung (mhd. münechen, münchen = zum Mönch machen) scheint im 8. Jh. noch häufig vorgekommen zu sein; so sah sich Karl d. Gr. dazu genötigt, das darauf liegende Strafmaß von 100 auf 200 Solidi heraufzusetzen. Außerdem schuf er den neuen Straftatbestand der "Entmannung eines antrustio" (eines königl. Gefolgsmannes) und setzte darauf eine Strafe in Höhe des dreifachen Wergeldes (600 Solidi) fest, die gleiche Summe wie für dessen Tötung. Für Sklaven, die gestohlen oder sich geschlechtlich vergangen hatten, war Entmannung ein verschärftes Strafmaß. Das gleiche galt nach sal.-fränk. Recht für Vergewaltigung mit Todesfolge und für Wildfrevel (s. Verstümmelungsstrafen). – Halbverschnittene, denen nur die Hoden entfernt worden waren, nannte man „spadones“. Bei volständiger Kastration wurde zusätzlich der Penis amputiert.
Freiwillige Selbstkastration eines asketischen, lustfeindlichen Lebensideals wegen, wie sie im frühen Christentum grassiert hatte, war durch Konzilsbeschlüsse verboten worden und spielt im MA. keine Rolle mehr. Extremisten der Leibfeindlichkeit, wie etwa der Kirchenlehrer Origenes (3. Jh.), beriefen sich bei dieser Art der Konfliktbeseitigung auf Matth. 19,12, wo Jesus sagt: "Manche sind von Geburt an zur Ehe unfähig, manche sind von den Menschen dazu gemacht, und manche haben sich selbst dazu gemacht - um des Himmelreichs willen."
Präpubertäre Kastration zur Erhaltung der Knabenstimme war nördl. der Alpen unbekannt. Dagegen galt die Entmannung als nützliche Maßnahme gegen Krankheiten (Geisteskrankheiten, Epilepsie u.a.) und wurde bei der Operation von Hodensackbrüchen bis ins 16. Jh. als unumgänglich angesehen.