Komplexionen

Aus Mittelalter-Lexikon
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Komplexionen (v. lat. complexio = Verknüpfung, Zusammenfassung. Die aus der Mischung der verschiedenen Elemente hervorgehende und den Gesundheitszustand, das Temperament und den Charakter bedingende Leibesbeschaffenheit eines Menschen). Gemäß der Säftelehre war die Körperverfasung des Menschen von der Ausgeglichenheit oder Unausgewogenheit der vier, sich jeweils paarweise gegenüberstehenden gegensätzlichen Primärqualitäten (Wärme und Kälte, Feuchte und Trockenheit) bestimmt. Eine ausgeglichene Komplexion liegt vor, wenn keine der vier Qualitäten überwiegt, wenn die Komplexion sich ihrer Qualität nach in der Mitte der vier Primärqualitäten befindet. Im Regelfall neigt die Komplexion jedoch einer der vier Außenpositionen zu, bzw. zu zwei benachbarten (z.B. zu warm und zu feucht oder zu kalt und zu trocken). Da der Mensch als lebender Organismus Wärme und Feuchtigkeit benötigt (Wärme erzeugt Leben, Feuchtigkeit macht Wachstum), wird seine Komplexion immer in Richtung auf diese beiden von der absoluten Ausgeglichenheit abweichen. Wie der gesamte Organismus besitzt auch jedes Körperteil und jedes Organ eine eigene Komplexion: diejenige der Knochen neigt zur Trockenheit, diejenige des Hirns zur Feuchtigkeit, das Herz neigt zur Wärme, bei „Sehnen und Strängen“ überwiegt die Kälte, das Haar habe eine warme und feuchte complexio. Weicht die Komplexion (des Gesamtorganismus, eines Körperteils oder Organs) aufgrund einer Noxe zu weit von der Normallage ab, so entsteht Krankheit; diese Noxe konnte auch eine ungünstige Planetenkonstellation sein, durch die das Säfteverhältnis gestört wurde. Nahrungs- und Arzneimittel wirken heilend, wenn deren Qualität der Komplexionsverschiebung des Patienten entgegenwirkt. Nach Avicenna besitzt jede Menschenrasse eine durch die Luftbeschaffenheit ihres Lebensraumes bestimmte Komplexion; hätte z.B. ein Inder die Komplexion eines Slawen, so müsste er sterben – und umgekehrt stürbe der Slawe, hätte er die Komplexion eines Inders. Auch den Lebensaltern komme eine jeweilige Komplexion zu: während Knaben zu Wärme und Feuchtigkeit neigten, seien Greise von Trockenheit und Kälte bestimmt. Frauen seien kälter als Männer und deshalb kleiner.
Zu dem Thema entstanden gelehrte Werke wie z.B. der "Liber complexionum" eines gewissen Johannes Parisiensis (um 1270), in dem sich lange Listen von Zeichen finden, mittels derer der diagnostizierende Arzt die Komplexionen der einzelnen Organe und des ganzen Körpers erkennen kann. Das Lehrbuch ist in zahlreichen Manuskripten erhalten und war Vorbild für viele spätere Werke dieser Art.
(s. Elemente, Hautfarbe, Säftelehre, Temperamente)