Sachsenspiegel
Sachsenspiegel (Speculum Saxonum). Zwischen 1220 und 1230 entstand der Rechtskodex "Sachsenspiegel" des sächs. Ministerialen ®Eike von Repgow. Die Sammlung erfasst das private und öffentliche ®Landrecht Sachsens und Ostfalens, das bis dahin als ungeschriebenes Gewohnheitsrecht gehandhabt worden war, sowie das Lehnsrecht. Sie enthält im ersten Teil Normen zum bäuerlich-grundherrschaftlichen Vertragsbereich (Lehnsrecht, Erbrecht, Besitzrecht bei Ehescheidungen), im zweiten strafrechtliche Regeln (zum Landrecht). Es erlangte in Nord-, Mittel- und Ostdeutschland alsbald Gesetzeskraft, wurde aus dem Lateinischen in die dt. Mundarten übertragen, diente einer Reihe ähnlicher Rechtsbücher als Vorlage (s.u.) und kam auch außerhalb des dt. Sprachgebiets zur Geltung (so in Polen, Livland, Tschechien, Rußland und Ungarn). Auch Stadtrechte, besonders das von Magdeburg, wurden vom Sachsenspiegel beeinflusst. Möglicherweise beruhte die überwältigende Akzeptanz des Werkes auf der irrigen Annahme, es ginge auf das "Sachsenprivileg" (s. Capitulatio de Partibus Saxoniae) Karls d. Gr. sowie auf die Lehensgesetzgebung Kaiser Friedrich Barbarossas zurück.
Die Gesetzesauffassung Eikes war zwar durchaus christlich geprägt (wie aus einer Zeile des Prologs zu entnehmen ist: "Got is selve reht, dar umme is em recht lef" [Gott ist selbst Recht, darum ist ihm Recht lieb]), dennoch wurde der Sachsenspiegel seitens der Kirche massiv angefeindet. Im Jahre 1374 wurden auf Anregung des Mönchs Klenkok 14 Artikel (articuli reprobati) durch die Bulle "Salvator humani generis" von Papst Gregor IX. anathematisiert.
Der Sachsenspiegel ist in etwa 200 Handschriften erhalten, die vom Ende des 13. Jh. an auch mit erläuternden Zeichnungen versehen waren (i.d.R. Federzeichnungen, mit Wasserfarben koloriert). Der Prolog (Praefatio rythmica) beginnt mit den Worten:
„Spegel der Sassen“
scal dit buk sin genant,
went Sassen reht is hir an bekant,
alse an eneme spiegele de vrouwen
ir antlite scowen.
Von den bebilderten Handschriften (Codices picturati) haben sich erhalten: die von Heidelberg (um 1325), Oldenburg (ndd., um 1336), Dresden (um 1350, 1945 weitgehend zerstört) und Wolfenbüttel (in ostdt. Dialekt, um 1370). Neben den bebilderten kursierten auch viele unbebilderte Handschriften; seit Ende des MA. ging das Werk mit hohen Auflagen in Druck.
Zu den unter dem Einfluss des Sachsenspiegels entstandenen Rechtsaufzeichnungen zählen: Der Deutschenspiegel (Spiegel aller deutschen Leute, um 1275); das kaiserliche Land- und Lehnsrechtsbuch (entstanden 1275/76, seit dem 17. Jh. als Schwabenspiegel bezeichnet); der Frankenspiegel (zwischen 1328 und 1338); das Görlitzer Rechtsbuch (frühes 14. Jh.); das Breslauer (schlesische) Landrecht (1356); der „Holländische Sachsenspiegel“ (14. Jh.); das Schöffenrecht des Berliner Stadtbuches von 1397.
(s. Leibeigenschaft, Sachsenspiegelglosse)