Skelettbefunde

Aus Mittelalter-Lexikon
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Skelettbefunde. Wesentliche Beiträge zu unserer Kenntnis ma. Demographie (®Lebenserwartung, Geschlechterverhältnis, ®Körpergröße) und knochenrelevanter Erkrankungen wurden durch die Osteoarchäologie erbracht. So wurde z.B. ein signifikanter Zusammenhang zwischen entzündlichen Zahnerkrankungen (Primärherd) und entzündlich-degenerativen Sekundärerkrankungen der Wirbelsäule (Fokalinfekt) festgestellt. Die arthrotischen Veränderungen an Halswirbeln in Korrelation mit Zahnentzündungen waren derart häufig, dass in ihnen eine besondere Mittelalterkrankheit gesehen wird. Spezielle durch Lepra bedingte Knochenläsionen wurden an Skeletten festgestellt, die bei ma. Leprosarien gefunden wurden. Hierzu zählen besonders Veränderungen am Gesichtsskelett wie der Abbau der knöchernen Nase und des Oberkiefers (mit Schneidezahnverlust). Am Gebiss fallen die geringe Häufigkeit von Zahnkaries und die starke Häufung von intravitalem Zahnverlust auf. Für das Letztere wird ®Skorbut als Verdachtsdiagnose angegeben. Seitliche Einkerbungen an den Zahnhälsen lassen auf Gebissreinigung nach der Zahnseidemethode schließen.
Traumatische Knochenläsionen wurden bei einem Drittel aller Männer, aber nur bei etwa halb so vielen Frauen gefunden. Manche Knochenveränderungen lassen Rückschlüsse auf ma. Behandlungsmethoden (z.B. ®Brennen) zu.
Säbelartige Verkrümmung der Oberschenkelknochen und knöcherne Überbrückungen an Wirbelkörpern an männlichen Skeletten deuten auf Überbeanspruchung durch lebenslanges Reiten hin. Degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule fanden sich vor allem bei Frauen, was auf einseitige Belastung bei Haus- und Gartenarbeit hindeutet; arthrotische Veränderungen an den Hüftgelenken könnten ein Hinweis auf hockende Arbeitsstellung sein (Befunde an Skelettresten aus fma. fränk. Gräbern, Staatssammlung für Anthropologie und Paläoanatomie, München). An Skeletten aus drei Londoner Klosterfriedhöfen konstatierten Wissenschaftler mit fünffacher Häufigkeit gegenüber Skeletten weltlicher Zeitgenossen Veränderungen, die auf starkes Übergewicht (Fettsucht) und Typ-II-Diabetes hinweisen: wachsartige Verknöcherungen an der Brustwirbelsäule mit Verengung des Rückenmarkkanals, Abnutzung der Knorpelschicht an Gelenkköpfen der Hüft- und Kniegelenke und Arthrose der Fingergelenke (Spiegel, Nr. 41, 10. 2004, S. 222). Ausweislich paläopathologischer Befunde litten Frauen im Alter von 30 bis 40 Jahren häufig an Osteoporose und damit an erhöhter Brüchigkeit der Knochen; Grund dafür ist der mit den Wechseljahren auftretende Östrogenmangel.
Der Göttinger Paläopathologe Schultz hat festgestellt, dass Männer vergleichsweise häufiger Arthrose im Schultergelenk hatten, während bei Frauen eher das Ellenbogengelenk betroffen war; er führt dies auf die unterschiedliche Arbeitsbelastung bei der Feld- bzw. Hausarbeit zurück. Seltener als heute war im MA. das Knie von Arthrose befallen; dies sei durch Bewegungsmangel und Übergewichtigkeit moderner Menschen begründet (SpiegelNr. Nr. 27, 06. 2014, S. 105. Nicht erwähnt wird, ob bei dieser Feststellung das Lebensalter der Toten berücksichtigt wurde. Der Umstand, dass die Lebenserwartung ma. Menschen deutlich geringer war, und Arthrose erst bei Adulten auftritt, könnte die geringere Häufigkeit erklären.)
Ende des 20. Jh. wurde in London auf einem Gelände, das im MA. außerhalb der Stadtmauern gelegen hatte, Massengräber gefunden, die anhand von Artefakten ins 14./15. Jh. datiert werden konnten. Die Knochen zeigten durchwegs Anzeichen von Mangelernährung, Hunger und schwerer körperlicher Arbeit. In einigen Zähnen wurde DNA des Pesterregers Yersinia pestis nachgewiesen, was ebenso wie die Lage außerhalb der Stadt nahelegt, dass die Begräbnisstätte ein Notgrab für Opfer der seinerzeitigen Pestwellen war.
Archäozoologische Erkenntnisse werden anhand von ergrabenen Tierknochen erhoben. Diese lassen Schlüsse zu auf Tierarten, deren Häufigkeit, Alter, Größe, Wuchsform, relative Geschlechterverteilung, Haltungsbedingungen und Krankheiten.