Terra sigillata

Aus Mittelalter-Lexikon
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Terra sigillata (lat., = gesiegelte Erde). Heilerde zur innerlichen und äußerlichen Anwendung, bestehend aus Quarz, Kieselsäure, Tonerdesilikaten, Kalk, Mineralien und Spurenelementen; ursprünglich von der Insel Lemnos stammend (Terra Lemnia), wo in der Antike ein Äskulapheiligtum florierte. In der Antike galt Heilerde – zumeist wasserhaltige Tonerdesilikate – als Mittel gegen Magenbchwerden (Übersäuerung), Schlangenbisse und gegen Vergiftungen.
Im MA. nannte man als Heilanzeigen für die äußerliche Anwendung Wunden und Verletzungen, für die innerliche Anwendung von Form von Aufschwemmungen Magenkrankheiten, Blutspeien, blutigen Durchfall, Asthma, starke Menstrualblutung, Schwindsucht, ansteckendes Fieber und Pestilenz. Die Wirksamkeit bei innerlicher Anwendung beruht auf der großen Oberfläche (1 TL Heilerde = ca. 100 qm) und damit auf der hohen Absorptionsfähigkeit des feinkörnigen Stoffes (hilfreich bei Magenübersäuerung und bei Vergiftungen) sowie auf der Freisetzung wichtiger Spurenelemente.
Um die kostbare, außer von Lemnos auch von Malta, aus Frankreich und Portugal importierte Arznei vor Verfälschungen zu schützen, wurden die noch halbfeuchten Heilerdekügelchen oder -oblaten mit einem Siegelstempel des Herkunftsortes geprägt. Daher die Bezeichnung "terra sigillata". Die Preise für Siegelerde waren – zumal in Zeiten grassierender Epidemien – oftmals unerschwinglich hoch.
Unter der Bezeichnung Terra sigillata wurde auch Heilerde aus Armenien (Terra Armena, ®Bolus Armenicus, Lutum armenicum) gehandelt. Erwähnung findet sie u.a. in dem ® Arzneibuch "Circa instans" (Salerno, 12. Jh.), im "Canon medicinae" des ® Avicenna (Ibn Sina, 11. Jh.) und im ® "Gart der Gesundheit" (Mainz, 1485).
Gegen Ende des MA. kam ein schwunghafter Handel mit Heilerde von der Insel Malta auf, die in grober oder pulverisierter Form ("Terra di San Paolo cruda" oder "T.d.S.P. pulvis") in jeder größeren Apotheke des Abendlandes als universales Antidot vertrieben wurde. Der Glaube an die wunderbare Heilkraft der maltesischen Erde bruhte auf einer Legende, derzufolge der Hl. Paulus anno 59 u. Z. auf dem Weg nach Rom auf Malte Schiffbruch erlitten hat. Dort habe er in einer Höhle Zuflucht gefunden und sei darin von einer Viper in die Hand gebissen worden. Zum großen Erstaunen der heidnischen Einwohner habe er die Attacke schadlos überstanden, und sei dieserhalb als Gott verehrt worden. Der Kult um Paulus und die heilende Kraft der Erde aus der "Grotta di San Paolo" überlebte die arabische Besetzung der Insel (9. - 12. Jh.) und wurde zu Beginn der Neuzeit von den seit 1530 dort regierenden Johannitern gewinnträchtig weitergepflegt.