Herbarien

Aus Mittelalter-Lexikon
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Herbarien (auch Herbale, = Pflanzen-, Kräuterbücher, Werke über die einfachen Heilmittel/Simplicia; spätlat. herbarium, von lat. herba = Pflanze). In den ma. Herbarien wurden Kräuter und Pflanzen nach Morphologie, Nährwert und Heilwirkung ("Virtutes herbarum"), jeweils geordnet nach ®Qualität und ®Grad, aufgelistet und bildlich dargestellt. Erwähnung finden auch mineralische Arzneimittel und Heilerden (s. terra sigillata). Der heilkundliche Aspekt der Bücher rangierte vor dem botanischen, wobei die Vorstellungen über pflanzliche Heilwirkung im Aberglauben wurzelten. Vom 13. Jh. an gab es auch volkssprachliche Herbarien. Herbarien sind von ®Arzneibüchern, ®Antidotarien und Rezeptarien (s. Rezept) nicht eindeutig abzugrenzen.
Aus dem 1. Jh. u. Z. stammt das fünfbändige Kräuterbuch "De materia medica" des griechischen Arztes ® Dioskurides (Militärarzt unter den röm. Kaisern Claudius und Nero), in dem 813 Pflanzen, 101 tierische Erzeugnisse und 102 Mineralien, Metalle und Erden mit ihren Namen und Synonymen aufgeführt und nach Vorkommen, Morphologie, Zubereitung, Lagerung, Indikation, Dosierung und Wirkung beschrieben sind. Die Heilwirkung beurteilt er nach der Säftelehre gemäß den vier Qualitäten kalt, warm, feucht und trocken. Die Systematik richtet sich nach Ähnlichkeiten in der Wirksamkeit der Arzneimittel, nicht wie bis dahin üblich, nach dem Alphabet oder nach äußerlichen Merkmalen. Eher distanziert wird Bezug auf magische Praktiken genommen. Das Werk gilt als das bedeutendste pharmazeutische Fachbuch der Antike, wurde im Morgen- wie im Abendland bis ins SMA. immer wieder übersetzt, abgeschrieben und erweitert und diente anderen ma. Kräuterbüchern als Vorbild.
Von ähnlich richtungsweisender Wirkung war der illustrierte "Herbarius" des ® Pseudo-Apuleius (4. Jh.).
Um 700 entstand das "Medicinae libellus" (Kräuterbüchlein) des ® Benedictus Crispus, das ohne großen Einfluss blieb.
Das "Breviarum" Karls d. Gr. enthält 72 Pflanzen, die in jedem der königlichen Gärten gepflanzt werden sollten, darunter viele Heilpflanzen.
Das lateinische Lehrgedicht des Reichenauer Abtes Walafridus Strabus (genannt Strabo, 806-849) beschreibt unter dem Titel "De cultura hortorum" ("Hortulus") die Verwendung von 23 Heilpflanzen. (Darunter Zitronenkraut, Wermut, Andorn, Betonie, Leberklette, Beifuß, Katzenminze und Meerrettich.) Außerdem handelt es von der Gartenarbeit und der Anlage eines Kräutergartens.
Zwischen 840 und 1100 entstand das Lehrgedicht "De virtutibus herbarum" des Odo Magdunensis (Odo v. Meung), welches unter dem Namen ®"Macer Floridus" in die Geschichte einging. Es beschreibt in 2.269 Hexametern die Heilkräfte von 77 Kräutern und Gewürzen.
Hildegard von Bingen (1098 - 1179) gibt in ihrer "Physica" eigene Beobachtungen wieder und benennt die beschriebenen Pflanzen mit dt. Namen.
Der "Hortus deliciarum" der Herrad von Hohenburg (~1125 - ~1196) ist wegen der akribischen Illustrationen erwähnenswert.
Das Traktat "De vegetabilibus" des Albertus Magnus (1193-1260) kann als wissenschaftliche Abhandlung im modernen Sinn bezeichnet werden.
Im 13. Jh. entstand unter dem Einfluss arab. Naturwissenschaftler (Rhazes) der Benediktbeurer "Tractatus varia physica et medicinalia", eine Pflanzenkunde nach pharmakobotanischen Gesichtspunkten und der Wiener codex latinus 93, eine Sammlung von Heilkräutern und Rezepten.
In dem deutschsprachigen "Buch der Natur" des Konrad von Megenberg (1309-1374) behandelt das fünfte Kapitel ("Von den Kräutern") etwa 90 Arzneipflanzen.
Aus der ersten Hälfte des 15. Jh. stammt die "Leipziger Drogenkunde", eine deutschsprachige Kräuterkunde-Kompilation, die neben der einzigen deutschen Fassung des "Circa instans" Auszüge aus Quellen wie "Macer floridus", "Liber graduum" (4. Jh., von einem anonymen syrischen Autor) und dem sog. "Liber iste" (12. Jh., Matthaeus Platearius) enthält. Auf ca. 400 Seiten werden 337 Drogen beschrieben.
Um die Mitte des 15. Jh. ist das Kräuterbuch des Münchener Arztes ®Johann Hartlieb entstanden, eine durchgehend illustrierte Handschrift in deutscher Sprache.
Der Herbarius des Zürcher Apothekergehilfen ®Hanns Minner stammt aus dem Jahr 1479. Er enthält eine bemerkenswerte Drogensynonymik ("Thesaurus medicaminum"), blieb aber ohne die ihm gebührende Wirkung, da er nur als eigenhändige Niederschrift des Verfassers (als "Autograph") erschien und nicht gedruckt wurde.
Ebenfalls im Jahre 1479 erschien der "Herbarius depictus" des Benediktinermönchs ®Vitus Auslasser, mit 198 naturnahen bildlichen Darstellungen von Heilkräutern.
1485 erschien der "Gart der gesuntheit" (als Neuauflage "Hortus sanitatis") des Frankfurter Stadtarztes ®Johann von Cuba, eine illustrierte Beschreibung von 435 pflanzlichen, tierischen und mineralischen Drogen. Das Buch sollte 1485 als erstes Herbarium unter dem Titel "Herbarius latinus" bei Peter Schöffer in Mainz in Druck gehen.
Der Nürnberger Meistersinger, Wundarzt und Barbier ®Hans Folz gibt 1485 ein "Confectbuch" heraus, in dem "zwelfferlei speczerei" aufgezählt werden: Anis, Kümmel, Koriander, Nelken, Zimt, Kubeben, Mandeln, Ingwer, Pfeffer, Pfirsich- und Weichselkern, Fenchel und Muskatblüte. Zubereitungen daraus waren als Mittel gegen die Folgen ausschweifender Gelage gedacht.
In sma. Pflanzenbüchern traten die medizinisch-spekulativen Texte zugunsten exakter Pflanzenbestimmung und naturalistischer Abbildungen zurück.
(s. Arzneimittel, Drogen, Heilpflanzen)