Wölfe
Wölfe (mhd. wolf, walt-hunt; in der Fabel "Ysengrimus"/"Isegrim", aus mhd. isen = Eisen und grim = wild; lat. lupus; Zool. Canis lupus; Raubtier aus der Familie der Hunde, auf der nördl. Erdhalbkugel verbreitet). Die sommers meist paarweise, winters im Rudel jagenden Wölfe wurden als tatsächliche Schädiger der Hirten und Viehzüchter und als - eher nur dem Märchen nach - menschenfressende Ungeheuer gefürchtet und gehasst. Ihretwegen sprach man über Herden, Hirtenhunde und Pferche Wolfssegen, umgab man Gehöfte und Dörfer mit festen Zäunen, hielt man starke Hüte- und Hofhunde und veranstaltete man Jagdzüge, zu denen oft ganze Dorfgemeinschaften aufgeboten wurden. (Im 9. Jh. sollen laut den Annalen des Bischofs Prudentius von Troyes in Aquitanien Wolfsrudel mit bis zu je 300 Wölfen das Land unsicher gemacht und auch Menschen angefallen haben. Einem unbekannten Pariser Annalisten zufolge trieb die Winterkälte in der zweiten Hälfte der 1430-er Jahre hungernde Wölfe in die Stadt, wo sie Menschen anfielen und auch töteten.) - Man hetzte die Wölfe mit Hunden in Netze, Fanggatter oder –gruben (Stellstätten), fing sie in Schlagfallen oder mit beköderten Eisen, vergiftete, erschlug oder erschoss sie wie immer man konnte. Jagd- und Hirtenhunde trugen häufig ein Stachelhalsband, um sie vor dem gegen die Kehle gerichteten Biss des Wolfes zu schützen. Vom Kadaver eines getöteten Wolfes wurde der Pelz genutzt, daneben alle möglichen Körperteile und Organe als Heilmittel der Volksmedizin, die Reißzähne (zum Glätten von Pergament) und die Schwanzspitze (als Amulett gegen Wolfsattacken). – Nach dem Sachsenspiegel (Landrecht LXI 2) standen wilde Tiere im königlichen Bannforst unter dem Rechtsschutz des Friedens – mit Ausnahme der Bären, Füchse, Wölfe und Wildschweine: „den wilden tiren (is) vride geworcht ... sunder beren, vuchsen unde wolven unde wilden swin.“ – Den Rittern des Deutschen Ordens war die Jagd mit Hunden und Beizvögeln verboten, die Jagd auf Wölfe dagegen war ihnen verdienstvolle Ritterpflicht. - In der Legende sind es Heilige, die im Frieden selbst mit Wölfen leben können: dem hl. Patrick bringt der Wolf ein gestohlenes Schaf zurück, ebenso dem hl. Norbert von Xanten, dem hl. Blasius ein Schwein; der hl. Franziskus zähmte den menschenfressenden Wolf von Gobbio u.a.m. Ansonsten wird der Wolf kirchlicherseits gern mit dem Teufel in eins gesetzt (Augustinus: "Wer ist der Wolf, wenn nicht der Teufel?"). Die Bibel spricht von den "reißenden und beutegierigen Wölfen, die Blut vergießen und Seelen verderben". – Als Wolfsmonate (wolfmanot) galten die Wintermonate November bis Januar, wenn die Wölfe sich zu Rudeln zusammenschlossen und mit ihrem Geheul die Landbewohner in Angst und Schrecken versetzten. – Fressende Geschwüre – etwa das Wundsein zwischen den Schenkeln – wurden als „Wolf“ bezeichnet, ebenso Werkzeuge zum Brechen von Erz und Stein und ein Anschlagmittel zum Heben von Steinquadern. – Wegen seines wilden, Schrecken verbreitenden Wesens erschien der Wolf als Wappentier wehrhafter Sippen, Burgen und Städte.
Der Bibel gilt der Wolf als Symbol der Bedrohung; Jesus sagt (Lk 10,16): "Seht, ich schicke euch wie Schafe mitten unter die Wölfe; seid daher klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben". Das Neue Testament warnt: "Hütet euch vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig sind sie reißende Wölfe" (Mt7, 15). In der Legende wird der Wolf mit St. Wolfgang zusammengebracht, wobei "der zu den Wölfen geht" eigentlich einen bezeichnet, der sich als Missionar unter die Heiden begibt.
Nach Hildegard von Bingen ist der Wolf sehr warm. "Er hat nicht wenig von der Art der Luftgeister und von der Art des Löwen." Eine Salbe mit Wolfsfett sei gut gegen Gicht. Einem Tobsüchtigen wasche man das rasierte Haupt an drei aufeinanderfolgenden Tagen mit einem Absud (brotho) von Wolfsfleisch, "und er wird wieder zu Vernunft kommen". - Sie konstatiert: "Wenn der Wolf den Menschen zuerst sieht, dann schwächen die Luftgeister, die ihn begleiten, die Kräfte des Menschen, weil der Mensch dann nicht merkt, dass der Wolf ihn sieht." - Diesem auf Plinius zurüchgehenden Volksglauben zufolge verliert ein Mensch, wenn ihn der Wolf zuerst sieht, seine Stimme. Von daher stammt die Redewendung "lupus (est) in fabula" ("der Wolf ist im Spiel") für den Fall, dass es einem plötzlich die Sprache verschlägt.
Im Volksglauben gilt der Wolf als Geschöpf des Teufels. Er sei ein Nachttier, und heule den Mond an, weil er dessen Licht hasse. Mythen, Sagen und Märchen kommt er häufig vor, wobei er in der Rolle eines verhassten, reißenden Feindes aber auch als Vorbild an Stärke und Mut dargestellt ist.
In der Volksmedizin gab es eine Vielzahl von Heilmitteln aus Körperteilen des Tieres. So galt Wolfsblut und -mist als gut gegen "das grymmen in dem libe", gebranntes und pulverisiertes Wolfsherz helfe gegen die Fallsucht ebenso wie gekochte oder gedörrte Wolszunge, das Fleisch eines lebendig in Öl gesottenen Wolfes heile die Gicht u.a.m.
Als gemeine Figur oder redendes Zeichen versinnbildlichte der Wolf in vielen Familien- und Stadtwappen Kampfesmut, Angriffslust und Stärke. Meist erscheint er aufgerichtet auf den Hinterläufen, mit aufgerissenem Maul, starkem Gebiss und vorgestreckter Zunge.br>
(s. Hunde, jagdbare Tiere, Tiersymbolik, Werwolf, Wolfsangel)