Bauhütten
Bauhütten. Im 19. Jh. geprägte Bezeichnung für Arbeitsgemeinschaften im Kirchen-Bauwesen der Gotik, mit dutzenden hochqualifizierter Handwerker - Baumeister, Polier, Steinmetz- und Maurermeister, Gesellen, Lehrlinge umfassend. Sie dürften im 11. Jh. aus monastischen Vorläufern hervorgegangen und erlangten im 13. Jh. ihre Ausformung, als das Laienhandwerker beim Kirchenbau die Mönchshandwerker verdrängten. Als erste weltliche Hütte gilt die des Albertus Argentinus, gegründet 1247 in Straßburg. Nunmehr trat an die Stelle einander abwechselnder wandernder Steinmetzgruppen eine feste Mannschaft, der die Kirchenfabrik Arbeit, Unterkunft und Verpflegung auch während der Wintermonate bot. Der Name des überdachten oder eingehausten Arbeitsplatzes wurde auf die Arbeitsgemeinschaft übertragen.
Die Bauhütten waren frei von zünftischen Zwängen, genossen besondere Privilegien und Sonderrechte, eigene Gesetze und eine eigene Gerichtsbarkeit.
Beim Burgenbau, bei welchem der Zeitfaktor oft von ausschlaggebender Bedeutung war, übernahmen die Leiter der Bauhütten Planung und Organisation, ihre Steinmetzen und Maurer jene technisch anspruchsvollen Arbeiten, welche das Können der Handwerker und Fronarbeiter aus dem jeweiligen Umland überstieg. Da der Bedarf an hochqualifizierten Werkleuten aus dem einheimische Potential nicht gedeckt werden konnte, wurden Fachleute aus den volkreichen Städten und Gegenden der Lombardei, aus Burgund und aus dem Elsaß angeworben.
Städt. Bauhütten wurden zu Anlage und Instandhaltung der Befestigungs- und Hafenanlagen gegründet. Im SMA. wurde ihnen auch der Bau anderer kommunaler Bauten übertragen (z.B. von Rat-und Zunfthäusern, Stadtwaagen, Spitälern, Mühlen und Lagerhäusern). Am bedeutendsten waren jedoch weiterhin die Bauhütten, die zum Bau von Großkirchen eingerichtet wurden und häufig überregionale Bedeutung erlangten (etwa die Hütten von Straßburg, Köln, Wien, Zürich oder Bern).
Im sma. Kirchenbau versteht man unter "Hütte" zum einen die Finanzierungs- und Organisationskörperschaft eines Bauvorhabens (vorher "fabrica ecclesiae"), zum andern den Werkstättenkomplex der ®Bauhüttenanlage (hutta lapicide). Dombauhütten gewährleisteten durch straffe Organisation und Tradierung von Bauprinzipien und Werktechniken (Hüttengeheimnisse) die kontinuierliche Ausführung eines Großbaus wie etwa einer gotischen Kathedrale. Daneben sorgte sie für Gewinnung und Transport der Baumaterialien (Steine, Kalk, Balken usf.), Organisation der Arbeitskräfte und Bereitstellung von Arbeitsinstrumenten. Die Gesamtleitung der Baustelle (opus, werk, structura) hatten als Vertreter der Bauherrschaft (Geistlickeit, Stadtrat) mehrere Werkmeister (magistri operis bzw. Pfleger) inne. Deren Stellvertreter war in Sachen der technischen Bauleitung der ®Baumeister (magister lapidum) dem neben den Werkstätten an der Kirche ("hüttenwerk") auch der Steinbruch ("gruobenwerk") und die Baustelle ("Bauwerk"; v. mhd. buwerc. = Baukunst) unterstanden. Er war auch Gerichtsherr und Sprecher der Hütte; ihm unterstanden neben Steinmetzen, Zimmerleuten und Maurern auch Mörtelmacher, Putzer, Schmiede, Glaser, Hüttenknechte sowie Versorgungspersonal. (Je nach Saison kamen auf einen Steinmetzen ein bis drei ®Hilfsarbeiter). Auf Baustellen des Rats war ein ®Pfleger für die finanziellen Belange (Einnahmen, Ausgaben) der Fabrik zuständig. Die Aufgaben des Baumeisters wurden im SMA. dem ®Polier (spmhd., parlier, parlierer = Sprecher), meist einem qualifizierten Gesellen, übertragen.
Neben den wandernden Bauhütten, die nach Vollendung des Baus weiterzogen, gab es stationäre Hütten, die zur laufenden Instandhaltung größerer Kirchen in deren unmittelbarer Nachbarschaft verblieben. Bauhütten nahmen eine Sonderstellung außerhalb der Zünfte ein, wahrscheinlich schon deswegen, weil ihre Mitglieder großenteils nicht sesshaft waren und jeweils dorthin zogen, wo sie benötigt wurden.
Das Personal einer Bauhütte war alles andere als eine statische Körperschaft. Die Zahl der Beschäftigten wurde äußerst flexibel an die Bedürfnisse des jeweiligen Bauabschnitts und an jahrezeitlich bedingte Umstände (Witterung, Anforderungen von Erntezeiten) angepasst; außerdem waren die Handwerksgesellen schon viel auf Wanderschaft unterwegs, noch ehe die Wanderung im 15. Jh. zur Pflicht gemacht wurde.
Von dem Pariser Baumeister Jean Mignot (spätes 14., frühes 15. Jh.) stammt die folgende Sentenz aus seinem Gutachten für die Mailänder Dombauhütte (1398): "Ars sine scientia nihil est" (Die Kunst(-fertigkeit) ist nichts ohne die Wissenschaft). Damit will er ausdrücken, dass die praktische Fertigkeit ohne theoretische Grundlagen unvollständig bleibt. Zu den tradierten Erfahrungsregeln habe objektivierbares, geometrisch-mathematisches Wissen zu treten.