Bestiarium
Bestiarium ( = Tierbuch, von lat. bestia = wildes Tier). Ma. Bestiarien waren keine systematischen naturkundlichen Beschreibungen, sondern illustrierte Lese- und Erbauungsbücher, in denen einheimischen wie exotischen Tieren sowie allerlei Monstren und Fabeltieren phantastische Eigenschaften nachgesagt und heilsgeschichtliche und moralische Deutungen unterlegt wurden. Als Quellen dienten Werke antiker Schriftsteller, z.B. „Das Buch der Wunder“ des Phlegon von Tralleis (2. Jh.; erhalten in einer ma. Abschrift [Codex Palatinus graecus 398]), in dem u.a. von Hippozentauren berichtet wird. Das beliebteste Bestiarium des MA. war der ®Physiologus (= Naturkundiger) eines anonymen christlichen Autors, der zunächst in lat., vom 11. Jh. an auch in mhd. und anderen nationalsprachlichen Versionen verbreitet war. Nach seinem Vorbild entstanden ähnliche Werke, in denen an fabulöse Tierbeschreibungen eine christliche Moral angehängt wurde.
Als herausragendes Beispiel sei das Bestiarium aus der ostenglischen Abtei Peterborough genannt; um 1200 entstanden, stellt es eine Fundgrube spätantiken naturkundlichen, mythologischen und philosophischen Wissens dar. Mit 113 goldunterlegten Miniaturen illustriert finden sich Beschreibungen zu mehr als 100 Landtieren, Vögeln, Reptilien und Wassertieren. Die Texte gehen auf den „Physiologus“ zurück und auf Buch XII (De animalibus) der „Etymologiae“ des Isidor von Sevilla. (Das lat. Bestiarium von Peterborough ist im Besitz der Russischen Nationalbibliothek in St. Petersburg
Als weiteres Beispiel englischer Tierbücher sei das Aberdeen Bestiary genannt. Unter dieser neuzeitl. Bezeichnung firmiert eine ma. Prachthandschrift aus dem 12. Jh. Auf 103 Pergamentblättern werden einheimische, fremdländische und fabulöse Tiere, auch einige Mineralien, beschrieben und in Miniaturen vors Auge gestellt. Die jeweiligen Eigenschaften werden nach dem Vorbild des Physiologus aus heilsgeschichtlich-moralischer Sicht gedeutet. Das Manuskript, eines der schönsten seiner Art, ist in England für einen unbekannten Auftraggeber entstanden und findet sich heute unter dem Code WS 24 in der Universitätsbibliothek zu Aberdeen.
An weiteren zoologische Naturbeschreibungen sind zu nennen: vier Bücher über Tiere in Hildegards „Liber subtilitatum diversarum naturarum creaturarum“ (sie behandeln Verbreitungsgebiete, Art und Geschlecht der Tiere, ihre Ernährung und Fortpflanzung und ihren Nutzen oder Schaden für den Menschen);
die Enzyklopädie „De proprietatibus rerum“ des Bartholomäus Anglicus (entstanden um 1230 auf der Grundlage von Aristoteles-Übersetzungen des Michael Scotus; Vögel, Fische und wilde Tiere werden ihrem jeweiligen Element - Luft, Wasser oder Erde - zugeordnet);
die 20-bändige Enzyklopädie "Liber de natura rerum" des Thomas von Chantimpre (entstanden zw. 1250 und 1270);
„De animalibus libri XXVI“ des Albertus Magnus (entstanden zw. 1250 und 1270); eine Summe aristotelischen, jüdischen und arabischen Wissens, mit eigenen Beobachtungen angereichert);
das "Speculum naturale" des Vinzenz von Beauvais (abgeschlossen um 1250).
Das "Buch der Natur" (Kapitel III) des Konrad von Megenberg, vollendet um 1350.
(s. Tierdichtung, Tiersymbolik, Ungeheuer)
zum Aberdeen bestiary s. http://www.abdn.ac.uk/bestiary/contents.hti