Hirn

Aus Mittelalter-Lexikon
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Hirn (mhd. hirn, gehirne [Hirn und Hirnschädel sind nicht immer klar unterschieden]; lat. cerebrum; grch. enkephalon). Seit jeher hatte man den Zusammenhang zwischen einem Schädeltrauma und den sensorischen, motorischen und intellektuellen Ausfällen gekannt. In der Antike wurde das Hirn als Sitz des Verstandes, der Sinne und des Geistes angesehen (Plato, Plinius), und diese Vorstellung wurde auch von Denkern des MA. übernommen. Hildegard v. Bingen (12. Jh.) benennt das Hirn als „materia scientiae, sapientiae et intellectus hominis“. Albertus Magnus (13. Jh.) beschreibt drei Hirnkammern (Ventrikel), durch welche der spiritus animalis fließe und dabei Sinneseindrücke von der Wahrnehmung über die Beurteilung bis zur Erinnerung verarbeite. Auch nach Konrad v. Megenberg (14. Jh.) beinhaltet das Hirn drei Kammern, deren vordere beherberge „der sel kraft, die da haizt fantastia oder imaginaria“, die mittlere sei der Sitz von „der sel kraft, die da haizt intellectualis, daz ist vernunft“ und die hinterste enthalte „der sel kraft, die da haizt memorialis, daz ist gedächnüss.“ Diese Seelenkräfte seien luftförmig und würden zusammen mit dem Blut durch die Adern ziehen. (Keine feststehende Auffassung besteht über die Zuordnung der Seelenkräfte zum Hirn oder zum Herzen.)
Die ma. Heilkunde suchte die Ursachen für nichttraumatische Hirnkrankheiten in Störungen des Säftegleichgewichts, vor allem in einer Ansammlung überflüssiger Feuchtigkeiten und Schwarzer Galle. Schädlicher Schleim werde durch die Nase abgesondert; wo nicht, schädige er andere Organe. Umgekehrt können üble Säfte und Dünste, die von anderen Organen zu Kopfe steigen, das Gehirn schädigen.
In dem Kräuterbuch „Macer floridus“ steht: „Es gibt eine Krankheit namens Lethargia (Vergessen und Schlafsucht); die Ärzte sagen, sie sei der Phrénesis (Hirnwut) gerade entgegengesetzt, weil letztere den Schlaf verbietet, die Lethargie jedoch den Kranken schwer mit Schlaf bedrängt.“ Es folgt eine Behandlungsanleitung für warme Kopfumschläge mit Satureia (Bohnenkraut) und Essig.
Hildegard v. Bingen schreibt von Hirnwütigen, sie stießen böse und unsinnige Worte aus, seien jähzornig, böse, wütig im Gehirn, voll Unruhe und gelangten selten zu hohem Alter.“ Verursacht sei die Gemütskrankheit durch überschießende teils feuchte, teils trockene Schleime.
Zumindest was die anatomischen Untersuchung des Hirns und der Hirnnerven betrifft, waren arabische Ärzte wie Rhazes und Abulcasis (beide um 1000 u.Z.) ihren europäischen Kollegen um einiges voraus; letzterer unternahm sogar chirurgische Eingriffe am Gehirn, um neurologische Krankheiten zu heilen.
Nach ma. Volksglauben sind Kopfschmerzen durch den Hirnwurm, durch Hexen- oder Elbenzauber oder durch den Bösen Blick verursacht.
Krankheitsheilige für Kopfleiden waren St. Pantaleon (weil er das Martyrium durch einen in den Schädel getriebenen Nagel erlitten hatte), ferner Atanasius, Dionysius, Makarius und Quirinus.
(s. Brennen (Med.), Fallsucht, Gedächtnis, Geisteskrankheiten, Organe, Tollwut, Psychologie, Schlaganfall, Seele)