Roger Bacon

Aus Mittelalter-Lexikon
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Roger Bacon (Rogerius Bacconis, auch R. Baco; "doctor mirabilis" = der bewundernswerte – verwunderliche? – Gelehrte. Um 1214 - um 1292). Einer reichen englischen Familie, sesshaft bei Ilchester in Somerset, entstammender Franziskanermönch, Philosoph, Linguistiker und experimenteller Naturwissenschaftler. Trotz kirchlichen Verbots befasste er sich intensiv mit dem Aristotelismus und schrieb Kommentare zur aristotelischen Naturphilosophie und Metaphysik.
Nach Studium in Oxford, u.a. bei ® Robert Grosseteste, wo er um 1240 den Magistergrad erwarb, und Lehrtätigkeit in Paris als Magister artium zog er sich 1247 vom Universitätsbetrieb zurück, kehrte nach England heim und widmete sich ganz der experimentellen naturwissenschaftlichen Forschung. Um 1257 trat Bacon in den Franziskanerorden ein und ging nach Paris zurück, wo er jedoch mit Lehr- und Schreibverbot belegt wurde. Sein Hauptwerk hätte das vierbändige "Opus principale" werden sollen, eine Enzyklopädie aller Wissenschaften: Theologie, Grammatik, Logik, Mathematik, Geographie, Astrologie, Alchemie, Medizin, Metaphysik, Moral und Experimentalwissenschaft. Auf dringende Veranlassung durch seinen Gönner Papst Clemens IV. und ständig den Anfeindungen orthodoxer Glaubensbrüder ausgesetzt, verfasste er zwischen 1265 und 1268 eine Kurzfassung des Vorhabens, bestehend aus dem ®Opus maius und dem Opus minus (einer Kurzfassung des Vorgenannten). Als versierten Astronomen weisen ihn seine Schriften über das Kalenderwesen aus, unter denen sich neben einem Kompendium über Kalender vergangener Zeiten und Völker auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem Julianischen Kalender findet. Nachdem mit dem Tod von Papst Clemens IV. (1268) jede Protektion gegen die Feindseligkeit der Pariser Vorgesetzten entfallen war, ging er wieder nach Oxford. Dort vollendete er seine Enzyklopädie mit dem "Opus tertium" (in dem u.a. Rezepturen für Schwefelsäure, Scheidewasser und für ein Explosionspulver enthalten sind) und schrieb neben vielem anderen Grammatiken der hebräischen und griechischen Sprache. Im Jahre 1277 erließ der Pariser Bischof Tempier ein Verdikt über averroistische Schriften, denen man auch die des Roger Bacon zurechnete (s. Averroismus).
Bacon war einer der ersten ma. Wissenschaftler, welche der Empirie – der Erkenntnis (experientia) durch reproduzierbare Experimente – den Rang einer Leitdisziplin einräumten. Zur Ausformulierung der experimentell gefundenen Gesetze sollte man sich der Mathematik bedienen. Naturwissenschaft begriff er als autonomen Bereich, den er klar von der Religion abgrenzte. Scharf kritisierte er Unwissenheit, Scharlatanerie und unkritische Autoritätshörigkeit bei Theologen, Philosophen, Ärzten und Juristen (in seinem "Compendium studii philosophiae"). Er erklärte kategorisch, Wissenschaft habe nur dann einen Sinn, wenn sie zu nützlichen Resultaten führe. "Er suchte die Bestätigung der Theorie durch die Erfahrung (experientia). Seine Wissenschaftslehre entwickelte eine eigene Theorie des "Fragewegs", der via inquisitionis, die zwar dem "Vernunftweg", der via rationis, folgte, doch auf Erfahrung rekurrierte." (J. Fried).
Sein besonderes Interesse galt der Optik. Er erkannte Gesetze der Ausbreitung, Brechung und Reflexion des Lichts, die bildvergrößernden Eigenschften von Quarz und Beryll und konstruierte Vergrößerungsgläser und Brillen (dazu das Traktat "De multiplicatione specierum"). Als erster beschreibt er Feuer als Reaktion zweier Stoffe – bisher hatte Feuer als eigenes Element gegolten. Dagegen mussten seine technischen Visionen von Flugapparaten, selbstfahrenden Wagen, Lastenaufzügen, Großschiffen, Unterseeschiffen u.ä. (in "Epistula de secretis operibus artis et naturae") seinen Zeitgenossen als blanke Phantasterei erscheinen. Als Anhänger der Transmutationslehre versuchte er sich an der Umwandlung unedler in edle Metalle; überdies reflektierte er über die Herstellung eines lebensverlängernden Elixiers. Er war Anhänger der Astrologie, vermutete die Kugelgestalt der Erde, bemerkte das Vorrücken der Tagundnachtgleichen (Präzession der Äquinoktien) und wies auf Fehler im Julianischen Kalender und auf die falsche Datierung des Geburtsdatums Christi hin.
Seine Experimente, nicht zuletzt die mit Schwarzpulver, machten ihn verdächtig, und er wurde, obgleich er selbst gegen Magie und Zauberei polemisiert hatte, deretwegen und wegen Teufelspakts zu zehnjähriger Klosterhaft verurteilt, aus der er erst kurz vor seinem Tod wieder freikam. Bacon war von der Überlegenheit der christl. Religion über alle anderen Religionen überzeugt, verurteilte aber gewaltsame "Bekehrungen", wie etwa den Ausrottungsfeldzug des Deutschen Ordens gegen die Pruzzen. Heftige Kritik übte er an Bildungsstand, Moral und Lebensweise des Klerus. Die Kompetenz zeitgenössischer Koryphäen der Scholastik wie Albertus Magnus und Thomas von Aquin zog er in Zweifel und empfahl ihnen, Spekulation durch Empirie und kritisches Textstudium zu ersetzen. Wissenschaftlich exaktes Arbeiten und profunde Kenntnis der Bibelsprachen hielt er auch beim Studium der Theologie für unerlässlich.
Weitere Schriften des R. Bacon: "De species et virtutibus agentium", "De scientia perspectiva", "Communia naturalium", "Communia mathematica", "Epistula de retardatione accidentium senectutis", "De erroribus medicorum", eine hebräische und eine griech. Grammatik u.a.m.