Tierethik

Aus Mittelalter-Lexikon
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Tierethik. Die ethische Einstellung des christl. Mittelalters gegenüber der außer-menschlichen Schöpfung (hier speziell gegenüber Tieren) war von radikalem Anthropozentrismus geprägt und stützte sich auf grch.-röm. und auf jüdisch-christl. Wertvorstellungen. Nach Gen 1,26 und Ps 8 wird dem Menschen die Herrschaft über die Tiere aufgetragen. Adam war es, der ihnen Namen gab.
Nach Cicero etwa war die Welt von den Göttern, die selbst menschliche Züge trugen, nur zum Nutzen der Menschen erschaffen, bestand der Wert der Tiere ausschließlich in ihrem Wert für den menschl. Gebrauch, war ihr Wert dem anderer – nichtbelebter – Rohstoffe gleich. Konsequenterweise behandelte das Röm. Recht Tiere als (belebte) Sachen.
Die jüd. Religion war Tieren gegenüber ambivalent: einerseits enthielt sie – als Religion von Viehzüchtern – Bestimmungen zum Wohl der Kreatur, die man als Wurzel des Tierschutzes betrachten kann: Tsa`ar ba`alei chayim (es ist verboten, Lebewesen Leiden zu verursachen) steht in der Thora. Es bestehen Gebote für die Praxis von Tierhaltung und -schlachtung. Andererseits untersagte sie jegliche emotionale Bindung an das Tier – wohl um zu verhindern, dass die Tiervergötzung anderer Religionen des Vorderen Orients Eingang auch die jüd. Religion finde. Höchst realistisch heißt es im atl. Buch "Prediger" (3,19f.): "Das Geschick der Menschenkinder ist gleich dem Geschick der Tiere; .... Wie dieses stirbt, so sterben auch jene, und einen Odem haben sie alle. Der Mensch hat vor dem Tier keinen Vorzug. Denn alle gehen an einen Ort. Alle sind aus Staub geworden, und alle werden sie wieder zu Staub". „Das kleine Buch der Frommen“ (1473) gebietet u.a., Vieh und Geflügel am Morgen zu füttern, noch ehe man selbst gegessen hat, sowie Hunde und Katzen nicht zu schlagen.
Islamischer Lehre zufolge hat Allah zwar dem Menschen die gesamte Schöpfung – ausdrücklich auch „das Vieh“ – zur Nutzung (arab. sachara) zur Verfügung gestellt, sie jedoch nicht seiner willkürlichen Ausbeutung unterworfen. Tiere hätten eine mindere Seele als die Krone der Schöpfung, der Mensch; dieser sollte sich jedoch seines Wissens und seiner Erkenntnisfähigkeit wegen nicht über das Tier erheben. Im einem hadith (enthalten im „Mishkat al-Masabih“) heißt es, „dass alle Kreaturen, also auch die Tiere, als Familie Gottes zu betrachten sind, und dass Gott diejenigen am meisten liebt, die seiner Familie Gutes tun. Wer auch den Tieren gegenüber freundlich ist, der erfreut Gott.“ (zit. nach R. Beyer). Die islamische Religion bezieht also eindeutig Stellung für einen brüderlichen Umgang mit den Tieren, auch wo sie genutzt und getötet werden, jedoch dürfte die Wirklichkeit auch diesem Ideal nicht immer entsprochen haben.
Der heilige Paulus hat die Lehre vertreten, dass die Tiere zwar Geschöpfe Gottes seien, jedoch keine Seele hätten. Der ihnen innewohnende Verstand reiche gerade aus, damit sie dem Menschen dienlich sein können. Dieser Einstellung dem Tier gegenüber hat sich Thomas von Aquin angeschlossen der lehrte, dass Tiere keine Seele hätten, demnach vom Menschen grundlegend geschieden seien. (Dem steht die Tatsache entgegen, dass Tiere dem Menschen vor dem Strafgesetz gleichgestellt waren, ® Strafen gegen Tiere). Man unterschied nützliche und schädliche Tiere, hegte die einen nur zum eigenen Vorteil und rottete die anderen aus, wo es irgend ging. Zahlreich und gut belegt sind die sadistischen Quälereien, denen Tiere – völlig legal und ohne theologischen Widerspruch – ausgesetzt waren. Kinder wie Erwachsene kannten viele Spiele, deren Reiz darin lag, Tiere möglichst qualvoll zu Tode zu bringen, sich an ihrer Gegenwehr, an ihrem Angstgeschrei zu delektieren. (Beim „Ganswurf“ z.B. wurde eine lebende Gans mit dem Hals in eine Astgabel gehängt; Sieger des Wettstreits war, wer ihr mit einem Wurfstock den Kopf abtrennte. B. Tuchmann nennt ländliche Wettkämpfe, bei denen die Mitspieler „mit auf den Rücken gebundenen Händen eine angenagelte Katze durch Kopfstöße töten mussten“ oder bei denen „ein Schwein unter Keulenschlägen und dem Lachen der Zuschauer durch ein Gehege getrieben wurde, bis es leblos zusammenbrach“. In manchen Gegenden wurden zur Belustigung Katzen ins Fasnachtsfeuer geworfen.)
Kontrastierend hierzu St. Hieronymus, der sich durch tätige Barmherzigkeit einen Löwen zum Gefährten gewann, St. Augustinus, der wusste, dass „von dem das Heil der Tiere kommt, von dem das Heil der Menschen kommt“ und der hl. Franziskus, der Tauben befreite und den wilden Wolf zähmte – sie stehen wie einsame Rufer gegen diese Ausblendung der Tiere (und der übrigen außermenschlichen Schöpfung) aus dem ethischen Bewusstsein der Christenheit. Der hl. Franz ging hin und predigte buchstäblich dem „Bruder Vogel“ und dem „Bruder Wolf“. Von seinem Geist dürfte der mhd. Spruch beseelt sein: „Fisch, vogel, wurm und tier/hant ir reht ba denn wir“. (Gegen die Tötung von Tieren zu Nahrungszwecken hat der hl. Franziskus allerdings nie Stellung bezogen.) - Am Ende des MA. gibt die „Reformatio Sigismundi“ zu bedenken: „Das uns die wilden tier fliehent, das ist nit unbillich; weren wir reht zu got, uns flühe kein tier; unsern vordern hant die wilden tiere gedient“; nur der menschlichen Gottlosigkeit ist es demnach zu verdanken, dass der ursprüngliche vertraute Umgang zwischen Mensch und Tier verlorengegangen ist.
Die Faszination des ma. Menschen von exotischen Tieren (Elefanten, Kamele, Affen, Strauße), seine Wertschätzung des praktischen Nutzens der Haus- und Jagdtiere und sein inniges Verhältnis zu zahmen Spielgefährten (Hunde, Singvögel) sollen am Rande erwähnt werden, sind jedoch für die Tierethik nicht von Belang.
(s. Ethik, Franz von Assisi, Strafen gegen Tiere, Tier, Tierhaltung, Tierschutz, Tiersymbolik, Vegetarismus)