Minuskel, gotische

Aus Mittelalter-Lexikon
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Minuskel, gotische. Aus der ®“karolingischen Minuskel" entwickelt sich im 10. und 11. Jh. in Nordeuropa eine neue Schrift, die gotische Minuskel, bei der die Buchstabenkörper vertikal gestreckt und die Schäfte an Kopf und Fuß gebrochen werden. Die Schäfte erhalten scharfe Ecken und spitze Winkel, werden durch feine Haarstriche untereinander verbunden. Die klassische Form dieser Schriftart, die ®Textura oder Gitterschrift, wird im 13. Jh. erreicht. Mit ihrer Betonung der gestreckten Senkrechten fordert sie einen Vergleich mit der Formensprache der zeitgenössischen Architektur heraus. Erste Buchstaben von Eigennamen, Satz- oder Zeilenbeginn werden als ®Majuskel hervorgehoben. In der weiteren Entwicklung (13. bis 15. Jh.) bilden sich mannigfaltige Schriftcharaktere heraus, die sich im wesentlichen zwei Gruppen zuordnen lassen: der gotischen Minuskel und der gotischen Kursive. Zeichnet sich die got. Minuskel durch künstlerische Formenstrenge und Regelmäßigkeit aus, was sie für herausragende Handschriften (als littera psalterialis) wie auch für die sma. Buchdruckerkunst geeignet macht, so ist die got. Kursive durch flüssige Schreibweise vor allem als zügige, schwungvolle Gebrauchsschrift ausgewiesen (s. Notula). In dem Bestreben nach schnellerem Schreiben wächst bei der Kursive die Anzahl der schon vorher gebräuchlichen ®Abbreviatur: ecc für ecclesia, epm für episcopum, lrar für litterarum, tn für tamen, dgstalt für dergestalt usf.
Die gotische Schrift des europäischen Nordens konnte sich im Süden (Italien, Spanien, Südfrankreich) nicht durchsetzen. Hier entwickelte sich im 13. – 15. Jh. eine offenere Version, die als Italienisches Gotisch oder Rotunda bekannt ist. Die starken Brechungen der Textura erscheinen abgeschwächt, die Rundungen in den bogenförmigen Buchstaben ausgeprägter, der hohe, schmale Charakter weniger deutlich.
Unter dem Einfluss der großen Universitäten Italiens, Frankreichs und Englands entwickelte sich im 14. Jh. die Bastardschrift (Bastarda = aus zwei Schriftstilen gemischte Schrift), in der sich Merkmale der Kursive mit solchen der kalligraphischen Textura verbinden; kennzeichnend sind ausgeprägte Ober- und Unterlängen und viele Verzierungen. Die Bastarda wurdeim 15. Jh. zur beherrschenden Schrift in Schule, Universität, Kanzlei und Kontor.