Schreiber

Aus Mittelalter-Lexikon
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Schreiber (mhd. schribaere, schribe; lat scriptor). Die Schreibkunst wurde bis zum 12. Jh. fast ausschließlich von Geistlichen beherrscht, dementsprechend wurde schribaere synonym für Kleriker (niederen Standes) gebraucht. Dabei gab es auch unter Klerikern Analphabeten und solche, die nur lesen, nicht jedoch schreiben konnten. Das Abschreiben von Büchern galt als verdienstvolle und gottgefällige Arbeit. (Nach Cassiodor bedeutet jeder Buchstabe, den ein Mönch von der Hl. Schrift kopiere, eine Wunde für den Teufel. Auf einem Titelbild aus der Mitte des 12. Jh. ist dargestellt, wie im Beisein Christi die Sünden eines auf dem Totenbett liegenden Schreibermönchs gegen ein Buch aufgewogen werden; die Schale mit dem Buch senkt sich, die Seele des Schreibers wird von einem Engel himmelwärts getragen, der Teufel muss unverrichteterdinge abziehen.) Entsprechend groß waren Ansehen und Selbsbewusstsein fähiger Schreiber und Miniatoren – was auch der Umstand beweist, dass Evangelisten, Kirchenväter und wissenschaftliche Autoritäten in den Miniaturen häufig als Schreiber dargestellt wurden. Das Erlernen der Schreibkunst dürfte einem harten Drill entsprochen haben, musste sich der Schüler doch nicht nur eine genau reglementierte Handhaltung und langes Stillesitzen angewöhnen, sondern auch die Buchstaben mindestens dreier Schriftarten (Capitalis, Unziale, Minuskel) sowie den Umgang mit Beschreibstoffen, Schreibwerkzeug, Farben und Tinten beherrschen. (Unklar ist, inwieweit die Schreibermönche der lat. Sprache und des Lesens mächtig waren, wie viele es gab, die einen Text nur Buchstabe für Buchstabe kopierten, ohne den Sinn zu erfassen.)
Untrennbar mit dem Lesen und Schreiben war die lateinische Sprache verbunden. Die Idee, deutsche Worte durch lateinische Lautzeichen wiederzugeben, musste erst langsam reifen (s. Schreibung). Rechtliche Urkunden wurden bis ins SMA. in Latein abgefasst. Der schreibkundige Kleriker (der "Pfaff") war unentbehrlich (Berthold von Regensburg: "ir leien kunnet nit lesen als wir pfaffen").
Seit dem 13. Jh. wurden Beurkundungen in Deutschland in zunehmendem Maße von ®Notaren vorgenommen, in den städt. Amtsstuben saßen Ratsschreiber (Syndici; wie Notare zumeist Kleriker niederen Weihegrades und verheiratet) und Schreiberknechte (Kopisten), bei Hofe waren Notare als "Geheimschreiber" (Secretarii) angestellt. Ratsschreiber erlangten beim städt. Magistrat, Geheimschreiber bei Hofe oft bedeutenden Einfluss. Im SMA. boten schreibkundige Laien der Allgemeinheit ihre Dienste an (Stuhlschreiber, Offenbarschreiber; lat. scriba cathedralis). Laienschreiber durchliefen eine zünftige Lehre, während der sie niedere Werkstattdienste wie Farbanreiben und -mischen oder Pergamentzurichten verrichteten. Nach der Freisprechung war eine Wanderschaft üblich, danach konnten sich die Meisterprüfung und die Gründung einer eigenen Schreiberwerkstatt anschließen. Schreibmeister oder Modisten (modistae – weil sie den modus scribendi [Schreibfertigkeit] und den modus significandi [Grammatik] lehrten) geben im SMA. Privatunterricht in großbürgerlichen Häusern. Großkaufleute unterhielten für ihre umfangreiche Buchhaltung eigene Schreibstuben (scrivecamere) und achteten darauf, dass ihre Söhne guten Unterricht in Schreiben, Lesen, Rechnen und im Erlernen von Fremdsprachen erhielten. – In manchen gewerblichen Schreibstuben wurden Bücher serienweise kopiert, indem ein Vorleser ("Diktator" = Diktierer) mehreren Schreibern den Text vorsagte, so dass gleichzeitig ebensoviele Bücher zustande kamen, wie Schreiber über der Arbeit saßen. Um ein möglichst großes Pensum in möglichst kurzer Zeit erledigen zu können, entwickelten die Schreibmeister des SMA. kurrente Schriften (s. Notula). Beim Diktieren ist es nicht selten zu Hör- und damit zu Schreibfehlern gekommen; sofern diese nicht vom Schreiber selbst oder einem Korrektor bemerkt und getilgt bzw. durch eine Randglosse richtiggestellt wurden, sind sie uns als Zeugnis gelegentlicher Unzulänglichkeit erhalten geblieben.
(s. Kleriker, Korrektor, Lese- und Schreibkunst, Schreiben, Schreibfeder, Schrift, Skriptorium; Lauber, Diebold)