Jurist
Jurist (mlat. iurista; v. lat. ius = Recht; das Wort erscheint im Dt. um 1300 und bezeichnete einen Kenner der gelehrten Rechte). Als Folge der Systematisierung des ®kanonischen Rechts im 11./12. Jh. kam es – zunächst in Italien (Bologna, Pavia, Perugia, Siena, Padua) und Frankreich (Montpellier, Paris) – zu einer Wiederentdeckung der Rechtspflege als Wissenschaft, wobei die Lehrstühle des Kanonischen und des ®Römischen Rechts bis zum Ende des 15. Jh. ausschließlich durch geistl. doctores gehalten wurden. Die Lehrer an den frühen dt. Universitäten (Prag, Wien, Heidelberg, Köln, Erfurt, Leipzig, Würzburg) waren zunächst an ital. und frz. ®Rechtsschulen ausgebildet worden; erst seit der 2. Hälfte des 15. Jh. fanden sich in Deutschland immer häufiger auch Rechtslehrer, die an den genannten älteren und an jüngeren dt. Rechtsfakultäten (Freiburg i.Br., Basel, Ingolstadt, Trier, Tübingen, Mainz) studiert hatten. Das Studium dauerte durchschnittlich drei bis vier Jahre bis zum Bakkalaureat, anschließend noch zwei bis drei Jahre bis zum Lizentiatenexamen. Um den Doktorgrad zu erwerben waren keine weiteren Studien nötig, die Promotion war lediglich eine kostspielige Formalität. Studierende waren zumeist Kleriker mit den niederen Weihen, erst im SMA. traten Studenten aus dem Laienstand neben sie. An den geistl. Ursprung des Juristenstandes erinnert noch heute die Amtstracht mit Talar und Barett.
Juristen wurden an geistl. und weltl. Höfe bestellt, ihnen wuchs Einfluss in der herrschaftlichen und städt. Verwaltung zu, sie absolvierten diplomatische Missionen und ersetzten immer häufiger die früheren Laienrichter. Der akademische Berufsstand der Juristen gliederte sich seit dem 13. Jh. in Legisten (Zivilrechtler; höchster Grad doctor legum), Kanonisten (Kirchenrechtler; höchster Grad doctor decretalium) und Gelehrte beider Rechte (doctores iuris utriusque). Den Juristen des SMA. wurden nicht nur die examinierten Volljuristen zugerechnet, sondern auch Halbgelehrte, die das Studium während der Fachsemester oder als Lizentiaten abgebrochen hatten, und ihr Auskommen als juristische Berater, Notare oder Gerichtsschreiber fanden.
Glossatoren hießen Juristen, die Rechtsfälle geistlichen und weltlichen Rechts systematisch zusammenstellten und kommentierten; sie gehen zurück auf die Bologneser Schule des ®Irnerius (urkundlich bis 1188 belegt, wahrscheinlich ein Deutscher). Dieser wandte die Methoden der Scholastik (Definition, Distinktion, Analyse) zur Wort- und Sacherklärung auf das Römische Recht an. 1228 fasste ®Accursius die an den verschiedenen Universitäten entstandenen Glossen in der ®Glossa ordinaria zusammen, die auf Jahrhunderte hinaus Autorität genoss.
Dekretisten wurden Kirchenrechtler genannt, die das ®Decretum Gratiani kommentierten. Kirchenrechtler, welche die päpstlichen Dekretalien in den Rechtsbestand der gratianischen Sammlung einarbeiteten, wurden Dekretalisten genannt (s. kanonisches Recht).
Die Juristen des 14. Jh. beschäftigten sich hauptsächlich mit der Kommentierung glossierter Rechtstexte sowie mit der Ergänzung heimischer Rechte durch das Röm. Recht. Da sie nach den Glossatoren auftraten, wurden sie Postglossatoren genannt. Wegen ihrer Tätigkeit als Verfasser von Rechtsgutachten (s. Konsilium) hieß man sie auch Konsiliatoren oder – wegen ihrer kommentierenden Bearbeitung des Röm. und kanonischen Rechts – auch Kommentatoren.