Ungeziefer
Ungeziefer (das Wort erhielt seine heutige Bedeutung im 17. Jh.; es geht zurück auf mhd. ungezibere = "zum Opfern ungeeignetes Tier", zu [ahd. zebar = Opfertier]; lat. bestiolae, molestae, foedae). Unter Begriffen wie "wurm" oder "houscrieche" waren tierische Lästlinge und Schädlinge zusammengefasst, von denen Mensch und Tier, Kulturpflanzen und Vorräte befallen wurden. Hierzu zählten Ameisen, Stechmücken, Fliegen und Motten, Flöhe, Läuse, Wanzen und Milben, Nacktschnecken, Würmer, Raupen und Maden (Engerlinge), Heuschrecken, Ratten, Mäuse, Nattern, Kröten u.a.m. Deren Vermehrung wurde z.T. durch die hygienischen Missstände der Zeit begünstigt, und so entstanden große Verluste an Feldfrüchten und Erntevorräten, etablierte sich in der Gemeinschaft von Ratte und Rattenfloh ein dauerhaftes Reservoir des Pesterregers.
Die Gelehrten der Zeit hatten Theorien zur natürlichen Entstehung von Ungeziefer, die ihnen z.T. aus der Antike überkommen und auch im Volksglauben geläufig waren. So nahmen sie z.B. an, dass Mäuse aus Fäulnis entstünden, dass sie aus dem Nebel kämen oder aus Gewitterwolken fielen. - Von der Schlange nahm man an, dass das Weibchen durch das Maul befruchtet würde und dem Männchen bei der Kopulation den Kopf abbeiße. Die Jungen wüchsen im Mutterleib heran und brächen gewaltsam daraus hervor. - Den Maulwurf dachte man sich als aus fauler, kotiger Erde hervorgegangen (Megenberg). - Ameisen kämen aus jener Feuchtigkeit, welche die Gewürze hervorgebrächte (Hildegard). - Der Floh entstünde aus angewärmtem Staub und fauliger Feuchtigkeit (Megenberg nach Plinius; auch Isidor v. Sevilla leitet das lat. pulex von pulvis/Staub ab). - Fliegen würden aus Exkrementen und faulem Mist entstehen und Maden gebären, aus denen neue Fliegen entstünden (Megenberg). - Die Motte ("gewantwurm") entstünde "aus fauler Luft und von der Feuchtigkeit, die in der Wolle der Gewänder steckt. In diesen haust er und zernagt sie" (Megenberg). - Zur Laus stellt Hildegard in "Causae et Curae" fest: „Scheidet das Fett Schweiß aus, so lässt dieser Schweiß an der Außenseite der Haut vereinzelt Läuse entstehen und ernährt sie. Ist bei Menschen mit plumpen Gliedmaßen und dicken Gefäßen das Fleisch durchlässig, dringt der Schweiß rasch durch das Fleisch und erzeugt darin eine Menge Läuse, die unmäßig aus dem Menschen hervorquellen. ... Bei Menschen mit festem Fleisch ... [können die Läuse] durch das Fleisch nicht nach außen kommen. Sie verbleiben im Fett, durchbohren und verzehren es. Viele [Leute] haben Schmerzen im Leib und wissen nicht, woher. ... Sie können nicht lange leben." Gegen Läusebefall empfiehlt Hildegard wiederholte Bäder mit Amethyst-Wasser.
Als Mittel gegen Ungeziefer in Kleidern und im Bettzeug kannte man verschiedene flüssige Zubereitungen. Gallensaft von Ochsen, vermischt mit Essig, wurde gegen Wanzenbefall empfohlen, gegen Bettflöhe versprengte man Koriander-Wasser.
Gegen massenhaft auftretendes Ungeziefer traten geistliche Gerichte mit summarischer Verfluchung und mit Exkommunikation an.
Für die Entstehung und die Schadwirkung des Ungeziefers machte der ma. Aberglauben Hexen und Dämonen verantwortlich, hatte aber auch Zigeuner und Bettler im Verdacht. Zu seiner Vertreibung kannte man Bannsprüche, mit anderen Zaubersprüchen konnnte man es missliebigen Leuten zusenden. Als wirksam zur Vertreibung wurde auch lautes Lärmen gehalten, etwa Hammerklopfen, Kettenrasseln, Hornblasen oder Glockenläuten.
Die Heilige Cacubilla (über Columcilla oder Kolumkille entstandene Verballhornung des Namens des als Dämonenaustreiber angerufenen hl. Columban) galt im SMA. als Schutzheilige gegen Ratten und Mäuse. Als Nothelfer gegen Raupen, Engerlinge und gegen den Schimmelbefall der Weintrauben galt - besonders in Süddeutschland und in der Schweiz - der Heilige Magnus (St. Maginold, St. Mang).
(s. Fleckfieber, Fliege, Floh, Getreide, Heuschreckeneinfälle, Hygiene, Krätze, Laus, Maus, Mehl, Parasitenbefall, Pest, Ratten, Strafen gegen Tiere, Vorratshaltung, Wurm)