Slawen
Slawen (Namensherkunft ungeklärt; im 6. Jh. schreibt Pseudo-Caesarius erstmals von "Slowakoi"; mhd. slave = Slawe, Sklave). Die indogermanischen Völker der Slawen, von ihren Nachbarn Veneter (Wenden) genannt, siedelten ursprünglich zwischen Weichsel und Dnjepr, zwischen den Pripjetsümpfen und den Karpaten und wichen im 3./4. Jh. dem Druck der Hunnen nach Westen und Südwesten in die Gegenden aus, die zuvor im Zuge der Völkerwanderung von den Germanen verlassen worden waren. Nach Abschluss der slaw. Völkerwanderung im 7. Jh. hatten sich drei Gruppen herausgebildet: 1.) Ostslawen (Russen, Weißrussen, Ukrainer); 2.) Westslawen (Tschechen, Mähren, Slowaken, Polen, Wenden, Kaschuben, Masuren); 3.) Südslawen (Slowenen, Kroaten, Serben, Makedonen, Bulgaren). Aus einem Abwehrbündnis gegen die im pannonischen Becken sesshaft gewordenen Awaren entstand ein locker gefügtes slawisches Reich, das von dem Gebiet der Sorben (an der Elbe) über die Länder der Slowaken bis zu denen der Slowenen (Ostalpen) reichte. Zwar hatte das slaw. Reich keinen Bestand, doch legte seine westl. Grenze auf Jahrhunderte die Nahtlinie zwischen german. und slaw. Gebieten fest. Zu den östlich von Saale, Unstrut und Elbe ansässig gewordenen westslawischen Gruppen der Wenden zählten Obotriten, Pomoranen, Ranen und Wilzen im Norden, Heveller, Sprevanen Sorben und Lusizer in den Havel- und Spreegebieten, Milzener und, Daleminziner in den Gebieten zwischen Erzgebirge und Thüringen. Ranen und Wilzen verschmolzen nach dem 10. Jh. zum Verband der Lutizen. In den Gegenden, die zu den heutigen Regierungsbezirken Ober- und Mittelfranken gehören, saßen die Main- und Rednitzwenden.
Da die meisten slaw. Völker sich mit ihren Nachbarn vermischt haben, ist ihr physischer Urtypus nur mehr aus zeitgenössischen Berichten zu erschließen. Demnach waren sie hochgewachsen, von kräftiger Statur, blond oder rothaarig. Der sächsische Chronist Widukind von Corvey schildert sie im 10. Jh. folgendermaßen: „Genus hominum durum et laboris patiens, victu levissimo assuetum et quod nostri gravi oneri esse solet, Slavi per quidam voluptate ducunt.“ (Etwa: Ein harter und belastbarer Menschenschlag, an bescheidenen Lebensunterhalt gewöhnt, der geradezu mit Freude verrichtet, was uns als als drückende Last erscheint.“)
Für den kulturellen Stand slaw. Völker waren kennzeichnend: Ackerbau, Viehhaltung und Fischfang, ein gutgerüsteter Reiterkriegerstand, Holzhäuser in Blockbauweise, Burgen- und Städtebau, handwerkliche Differenzierung, Eisen- und Keramikproduktion, Nah- und Fernhandel, Anfänge der Münzprägung, Übernahme der lat. Schrift (seit dem 9. Jh.), künstlerisches Schaffen (Silber-, Gold- und Bronzeschmuck).
Über den vorchristl. Götterglauben der Slawen berichten Helmold von Bosau, Widukind von Corvey und Saxo Grammaticus. Allgemein verbreitet waren Magie, Seelenkult und der Glaube an eine gute Gottheit (Belbog) und deren bösen Widersacher (Czernebog) sowie an stammeseigene, lokale Schutzgötter (z.B. Swantewit, Triglaw und Radegast), denen jeweils eigene Tempel errichtet wurden. Auch Quellen und heilige Haine waren Zentren religiöser Verehrung. Priester pflegten die heiligen Stätten, leiteten den Kult und verwalteten die Opfergaben. Außerdem waren sie an politischen Entscheidungen beteiligt und dienten als diplomatische Emissäre. Neben den Hochreligionen der Stämme wurden in den Familien Hausgötter verehrt, waren Animismus, Dämonen- und Geisterglauben verbreitet. Tote wurden eingeäschert; erst unter dem Einfluss des Christentums ging man zur Erdbestattung über. Für Tier- und Menschenopfer gibt es Fundbelege. Auch gefangene christl. Missionare wurden als Opfer dargebracht. Die christl. Mission setzte mit ihrer Arbeit bei der Oberschicht an, fand jedoch entschiedenen Widerstand im Volk. Erst im 12. Jh. ging die slaw. Religion unter dem Druck der christl. Feudalitäten aus Deutschland, Polen, Dänemark und Pommern zugrunde.
(s. Heveller, Lusizen, Lutizen, Obotriten, Ostkolonisation, Pomoranen, Ranen, Slawenmission, Swantewit, Tschechen, Wenden, Wilzen. Lehnwörter des Mhd.: Slaw. Lehngut.)