Spielleute

Aus Mittelalter-Lexikon
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Spielleute (mhd. spilliute, klingsaere; mlat. joculatores; s.a. spilwip). Unbehauste, in Gruppen fahrende Spielleute und Sänger, die um geringes Entgelt zur vergnüglichen Unterhaltung musizierten, sangen oder zum Tanz aufspielten, weiters alle, die berufsmäßig Unterhaltung boten als Akrobaten, Spaßmacher, Märchenerzähler usf. Sie entstammten den unterschiedlichsten, überwiegend niederen Gesellschaftsschichten. Auf die Straße gerieten sie als nachgeborene, erbelose Ritter, als entaufene Klosterschüler, stellungslose Kleriker, streunende Nonnen, unehelich Geborene oder Findelkinder, aus Armut, Abenteuerlust, wegen Abbruch eines Studiums oder weil ihnen ein ehrbares Handwerk nicht zugänglich war; der Kirche galten sie als heidnisch, der Wollust ergeben, unzüchtig, zu unfrommem Gelächter aufreizend. So wurden sie denn schon im FMA. von Kirchenmännern als "ministri Satanae" (Satansdiener) infamiert, oftmals von den Sakramenten ausgeschlossen und auf ihr Betreiben hin zu standeslosen, ehrlosen Leuten gemacht, die zu unterstützen Sünde war.
Spielleute genossen aufgrund diskriminierender Bestimmungen des Römischen Rechts und infolge der Diffamierung durch die Kirche mindere Rechtsstellung: sie waren eidesunfähig, konnten vor Gericht weder als Kläger noch als Zeugen auftreten, hatten keinen Anspruch auf Wergeld, fanden kaum jemals Bürgen oder Eideshelfer, wurden jedoch nicht mit Kriminellen gleichgesetzt. Mit Ausnahme der "Pax Bavarica", welche Spielleute ausdrücklich für friedlos erklärt ("die sint uz dem fride"), gewährten die ma. Rechtssetzungen ihnen Schutz nach Friedensrecht; so ist im Sachsenspiegel festgelegt: "Doch wer einen von ihnen (sc. der Spielleute) verwundet oder ausraubt oder tötet ... und den Frieden an ihnen bricht, über den soll man nach Friedensrecht urteilen".
Die Ehrlosigkeit konnten nur Spielleute durchbrechen, die über ein kultiviertes Auftreten und musikalisches Können verfügten und Anstellung an weltl. oder geistl. Höfen gefunden hatten (s. Menestrel). Dort musizierten als Solisten oder in einem Ensemble, konnten sogar bis zum Hoftrompeter, -posaunisten oder -paukisten aufsteigen. Als patronisierte Spielleute, unter dem Schutz eines fürstlichen Schutzschreibens ("instrumentum") reisend, oder unter städt. Schirmherrschaft sesshaft geworden, genossen sie einen rechtlich aufgewerteten Stand.
Der auf Spielleute gemünzte formelhafte Ausdruck "guot umbe ere nemen" dürfte darin begründet sein, dass sie ihren Lohn in Form von Dingen zur Existenzsicherung ("Guot"; abgelegte Kleider, Kost und Logis, Geld) erhielten, anstatt - wie höfische Dichter und Minnesänger - in Form hochwertiger Ehrengeschenke (ere; kostbare Kleidungsstücke, edle Pelze, rituelle Ehrerweisungen).
Der rechtlose fahrende Spielmann wurde den joculatores (mhd. goukelaere, kluteraere) zugerechnet, unter die auch Possenreißer, Tierbändiger, Marionettenspieler, Gaukler, Zauberkünstler, Trickbetrüger, Feuerschlucker, Jongleure und Akrobaten zählten.
Spielleute im eigentlichen Sinn waren ursprünglich Tanzmusikanten, die ihre Weisen auswendig spielten. Entsprechend selten sind Aufzeichnungen ihrer Weisen und Lieder. Ohne Spielleute dürfte kaum eine Geselligkeit – gleich wo oder zu welchem Anlass – ausgekommen sein. Bei Hofe, in der Herberge, im Gasthaus, auf der Tanzdiele, in der Badstube, auf dem Jahrmarkt, auf dem Kirchhof oder unter der Dorflinde, zu Hochzeiten, Erntefesten oder Zunftgelagen – Spielleute, auch als Vorsänger und Vortänzer, waren immer dabei. Überdies besorgten sie Botendienste, verdingten sich mitunter als Spione oder Kuppler und versorgten stets ihr Publikum - gleichsam als Vorläufer der Sensationspresse - mit möglichst aufregenden und absonderlichen Neuigkeiten. Aufgrund ihrer weiten Fahrten und vielfältigen Kontakte haben sie viel zur Entwicklung und Vereinheitlichung der europäischen Musik beigetragen.
Vom 12. Jh. an entstanden ® Bruderschaften der Spielleute, die der Sicherung der rechtlichen und sozialen Stellung wenigstens eines Teils der Spielleute dienten. Als Vorbild kann die St. Martins Bruderschaft gelten, die in der ersten Hälfte des 11. Jh. von Spielleuten ("Homines seculares, arti joculatorie deditos") in der Leprosenkapelle der Benediktinerabtei Fecamp gegründet wurde. In der Gründungsurkunde wird den Spielleuten die Teilnahme an Gottesdiensten, Prozessionen und Kirchenfesten zugestanden, die sie musikalisch zu umrahmen hatten. - Um 1100 entstand die "Confrerie da la Chandelle d´Arras", deren Gründungslegende sich um den Bischof Lambert von Arras und zwei verfeindete Spielleute dreht, die im Auftrag Mariens ein Heilungswunder der Brotseuche herbeiführten. - St. Nikolaus geweiht war die Spielleute-Bruderschaft von Wien, die im Jahre 1288 entstand. - 1321 entstand in Paris die "Confrerie dudit mestier", der auch Frauen (menestrelles) angehörten und die sich Statuten nach Art der Handwerkerzünfte gab. (Anders als bei diesen finden sich darin keine Bestimmungen über die Ausbildung; der Nachwuchs lernte beim Zusammenspiel mit Älteren, durfte Im SMA. entstanden privilegierte Gilden der Stadtpfeifer und Ratstrompeter. Profitierten die Spielleute von derartigen Zusammenschlüssen dadurch, dass sich ein corporatives Gemeinschaftsgefühl bildete, dass sie von ortsfremder Konkurrenz und vor rufschädigenden Dilettanten geschützt wurden, so lag das Interesse der Städte darin, den Frieden zu wahren und das Fest- und Tanzwesen zu reglementieren.
Der Anteil der Spielleute an der Gesamtbevölkerung war beträchtlich: im Wien des Jahres 1460 waren von 25.000 Einwohnern 500 Spielleute. Mancherorts wurden seßhaft gewordene Spielleute in besonderen Straßen oder Vierteln - meist unmittelbar hinter der Stadtmauer oder in den Vorstädten - einquartiert, so ist für Köln 1231 eine platea joculatorum und um 1300 eine Speleludestrate belegt.
Die Kleidung der Spielleute war möglichst aufmerksamkeiterregend, zumeist in leuchtenden Farben - vorwiegend in Rot, Grün und Gelb - gehalten und ab dem 12. Jh. "ab utroque latere divisis item mixtus coloribus" ("zweifarbig in der Mitte geteilt"; s. Mi-parti). Kennzeichnend erscheinen auf zeitgenössischen Darstellungen farbige kurze Mäntel und Kapuzen bzw. mit Bändern umwundene Hüte. Sma. Kleiderordnungen forderten für fahrendes, "unehrliches" Volk, dem auch Spielleute aller Art zugerechnet wurden, eine auffällige Kleidung, "damit die ehrlichen Leute sich desto leichter vor Schaden hüten können" (Zit. nach Wolfgang Hartung).
Über die bei Spielleuten übliche Namensgebung ® Personennamen.
Vom Ende des MA. an wurden auch fahrende Spielleute gegen gewisse Auflagen – etwa, sich vor und nach dem Abendmahl 5 Tage lang der Musik zu enthalten – vom weithin üblichen Sakramentsausschluss losgesprochen.
(s. Dressur, Fürstenpreis, Goliarden, Histrio, Joculator, Marionettenspiel, milte, Musikensembles, Musik und Kirche, Stadtpfeifer, Tanz, Vaganten)