Bauer

Aus Mittelalter-Lexikon
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Bauer (mhd. bure, gebure, ahd. giburo; von ahd. bur = Behausung, also eigtl. Mitbewohner, Dorfgenosse. Oft auch buman, ackerer oder "arme liute" genannt; lat. agricola, rusticus, colonus). Bis zum 11. Jh. bezeichnete "gebure" den Mitbewohner des Hauses (bur), den Angehörigen der Nachbarschaft (burschap); danach wurde der Begriff zunehmend im heutigen Sinne verwandt. Da der Bauernstand in sich vielfach geschichtet und gegliedert war, finden sich statt der Allgemeinbezeichnung „Bauer“ meist spezielle Benennungen wie meyer, volmeyer, hoveman, huober, huob(e)ner, lehenaere, zinsman, widemer, seld(e)ner, koter, hiuseler usf., die häufig in Familiennamen weiterleben.
Von der landbebauenden Bevölkerung wurde im FMA. als von liberi, liti und servi (Freien, Halbfreien und Unfreien) gesprochen. Erst als sich der Stand der Landleute von dem der Krieger getrennt hatte, als sich die Landleute – freiwillig oder durch Zwang – unter den Schutz von adligen Grundherren gestellt (kommendiert) hatten, wurden Angehörige des Bauerntums als buren, agricolae oder rustici benannt. Nachdem die Bauern vom Kriegsdienst entbunden waren, wurden an ihrer Statt Ritter damit betraut; vor allem für deren Unterhalt wurden die Bauern samt Familie und Landgut zinspflichtig. Die grundherrschaftliche Agrarverfassung (s. Grundherrschaft) war die Basis weltlicher und kirchlicher Macht und Kultur. ®Leibeigene arbeiteten auf den ®Fronhöfen, ®Hörige und ®Freie auf den dazugehörigen ®Hufen. Daneben gab es, je nach Landschaft unterschiedlich zahlreich, noch Höfe und Dörfer freier Bauern.
Bis zum 13. Jh. wurden die rechtlichen Unterschiede zwischen den verschiedenen Schichten von Freien und Unfreien oder Minderfreien weitgehend eingeebnet, und es entstand ein relativ einheitlicher Bauernstand, der sich in der Folgezeit nach ökonomischen Kriterien gliederte in erwerbskräftige Vollbauern (Hofbauern, Erbgenossen) auf der einen Seite, sowie landarmen Kleinbauern (armliute, Kätner, Kötter, Seldner) und landlosen Lohnarbeitern (tagewerker, tagewaner) auf der anderen Seite. Die Frondienste waren – vom deutschen Nordosten abgesehen – großenteils durch Geld- und Naturalabgaben ersetzt worden, ganz allgemein wird die Zeit des ausgehenden 13. Jh. als die Blütezeit des ma. Bauerntums angesehen. Die ®Agrarkrise des 14. und 15. Jh. führte zu einer Verarmung und Ausdünnung der Bauernschaft und hinterließ eine grundlegend veränderte ®Agrarwirtschaft mit von Landschaft zu Landschaft wechselnden Betriebsgrößen, Anbauarten und Pachtsystemen. Im SMA. kann man grob drei bäuerliche Existenzformen unterscheiden: 1.) die Freiheit, teilweise gar Eigenstaatlichkeit der Bauern in der Schweiz, in Tirol, in Holstein (s. Dithmarschen) und Friesland (s. Stedinger Bauernschaft); 2.) die Fronknechtschaft der Bauern im Bereich der ostdeutschen ®Gutsherrschaft; 3.) die relative Freiheit der Bauern im restlichen Deutschland, wo zumeist die größeren Landesherren ihre Bauern gegen die Grundherren schützten.
Zwar bestand die Arbeit der Bauern in erster Linie aus Ackerbau und Viehhaltung, doch musste er im Rahmen der Selbstversorgung auch viele handwerkliche Techniken beherrschen (s. Arbeit, Hauswerk). Einen wesentlichen Anteil an der bäuerlichen Arbeit leisteten Frauen: sei es im Vieh- oder Geflügelstall, im Garten oder auf den Feldern, bei der Nahrungsmittelgewinnung und -konservierung oder bei der Kleiderproduktion. Und auch Kinder waren ganz selbstverständlich in den landwirtschftlichen Betrieb einbezogen (s. Kinderarbeit). An dieser Stelle seien auch die Arbeiten erwähnt, die in nachbarschaftlicher Gemeinsamkeit verrichtet wurden, wie z.B. bei der Urbarmachung oder beim Gebäudebau.
Der Lebensstandard der Masse der bäuerlichen Bevölkerung blieb bis zum Ende des 15. Jh. auf niedrigem Niveau, wie aus einer zeitgenössischen Schilderung erhellt: Das Leben der Bauern "ist ziemlich bedauernswert und hart. Ihre Hütten bestehen aus Lehm und Holz, ragen wenig über die Erde empor, sind mit Stroh bedeckt. Geringes Brot, Haferbrei, gekochtes Gemüse ist ihre Speise, Wasser und Molken ihr Getränk. Ein leinener Rock, ein Paar Stiefel, ein brauner Hut ist ihre Kleidung". Die Dichtung des 13. Jh. (z.B. "Meier Helmbrecht" oder "Kleiner Lucidarius") stellt den Unterschied zwischen Herrenspeisen und dem "gemeinen" Essen der Bauern heraus; letzteres habe zu bestehen aus gehobeltem Kraut oder Rüben, zusammengekocht mit geringer Fleischeinlage, Brei aus Gerste oder einem Roggen-Hafer-Gemenge, Suppen mit Einlagen aus Teigwaren, Eiern oder Eingeweiden. Fisch sollte den Bauern nicht einmal als Fastenspeise zugestanden sein. Die Bewertung des Bauernstandes im MA. beruhte wesentlich auf der kirchlichen Ständelehre, derzufolge die Bauern den untersten, niedersten Stand ausmachten, der die höheren Stände (Klerus und Wehrstand) zu tragen und ernähren hatte. Dabei waren bäuerliche Knechtschaft und Mühsal als gottgewollte Strafen für sexuelle Verwilderung anzusehen und als Folge von Noahs Fluch über seinen unehrerbietigen Sohn Cham und dessen Nachkommen. Den ersten Bauern erkannte man bezeichnenderweise in dem Brudermörder Kain. Grosso modo galt die Bauernschaft – zumindest deren höriger Teil – als verstandes- und willenlos, bildungsunfähig und triebhaft, schmutzig und übelriechend, fast schon Tieren gleich. Dementsprechend wurde der Bauer in der Dichtung und auf der Bühne zu der Spottfigur des dummen, lasterhaften, hinterlistigen und hässlichen Dörpers. Auch in der Landfriedensgesetzgebung des HMA. fand die Minderachtung des Bauernstandes ihren Niederschlag: Bauern war das Tragen von Waffen bei schwerer Strafe verboten; Waffenbesitz im Hause war dagegen zugestanden, konnte doch der Bauer gelegentlich zur Dingfestmachung eines Verbrechers aufgeboten werden. An der verächtlichen Haltung gegenüber dem Bauernstand änderte auch die benediktinische Werschätzung der Arbeit – auch der bäuerlichen – nichts, derzufolge Handarbeit gleich nach dem Gebet gottgefälliges Werk war. – In ma. Miniaturen, etwa in den ®Stundenbüchern, sind die Jahreszeiten und Monate durch typische bäuerliche Verrichtungen symbolisiert; doch spricht aus den Darstellungen weniger Verständnis und Sympathie für die Landleute, als die verklärende Sehnsucht nach Ursprünglichkeit und Idylle.
Die Verachtung der Bauern seitens des Ritterstandes schlug in Hass um, als im SMA. aufgrund soziologischer und ökonomischer Veränderungen mancher Ritter ein schlechteres Auskommen hatte als ein Bauer. Viele ritterliche Fehdezüge wurden nur zu dem Zweck vom Zaune gebrochen, dem Befehdeten die Dörfer zu plündern und seinen Bauern das Vieh wegzutreiben.
Die Tendenz zu einer positiven Neubewertung zeichnete sich um die Mitte des 13. Jh. beispielshaft in dem Versepos "Meier Helmbrecht" ab, in dem der ehrliche, selbstbewusste Bauer dem heruntergekommenen Rittertum gegenübergestellt wird. In einem sma. Volkslied artikuliert sich das neue bäuerliche Standesbewusstsein:
"Ich ner dich mit des Pfluges Zügen ...,
was hilft dein Stechen und dein Tanz?
darin ich chain gut spür:
mein herte Arbait die ist ganz
und tregt die Welt voran."

Abschließend sei bemerkt, dass die Bauern im FMA. 90% der Bevölkerung ausgemacht haben; ihr Anteil sank bis zum SMA. auf 80-85% (heute sind es 2%).

(s. Bäuerin, Bauernkleidung, Bauernlob, Bauernrevolten, Bauernspiegel, Bauernverspottung, Gesellschaftsordnung, Stadtbauern)