Klöster als Zentren literarischer Bildung
Klöster als Zentren literarischer Bildung. Zwar lagen die wichtigsten Zentren der europäischen Bildungslandschaft seit der Karolingerzeit im Westen (Chartres, Laon, Metz, Paris, Reims, Tours), doch wurden im FMA. auch in dem Raum zwischen Rhein und Elbe, zwischen Alpen und Nordsee von irischen, angelsächsischen und fränkischen Missionaren viele Klöster gegründet, die zu Pflegestätten und Ausgangspunkten von Kunst und Geisteskultur wurden. Eine einzigartige Rolle spielten sie in der Überlieferung und Verbreitung antiker Literatur und bei der Verschriftlichung der Volkssprachen. (Für den katechetischen Unterricht waren Schriften in der Volkssprache unerlässlich, so z.B. Sündenverzeichnisse und Beichtformeln. Derartige Werke gehören daher zu den ältesten Aufzeichnungen in deutscher Sprache.)
Als wichtigste Literaturzentren im Sprachraum der lingua theotisca sind zu nennen:
Hohenburg (später Odilienberg; in den mittleren Vogesen; gegr. im 7. Jh.). Wirkungsstätte der ®Herrad von Hohenburg (H. v. Landsberg), Autorin des enzyklopädischen Werkes "Hortus deliciarum" (vollendet um 1185).
St. Gallen (im alamannischen Sprachbereich; um die Mitte des 8. Jh. aus einer Klause hervorgegangen, die der schottische Missionar Gallus 612 gegründet hatte). Hier entstanden das "Vocabularius St. Galli", das St. Galler Glaubenbekenntnis und Vaterunser, kommentierte Übersetzungen antiker Werke. Von den St. Galler Mönchen wurden bekannt: ®Notker Balbulus, ®Ekkehart I., ®Notker III. Labeo; ®Ekkehart IV., ®Tuotilo.
Weißenburg (Elsaß; im südrheinfränk. Sprachbereich; gegr. im 8. Jh.). Entstehungsort der ahd. Evangelienharmonie "Liber Evangeliorum" des Mönchs ®Otfrid, die als ältestes größeres Werk in dt. Reimen angesehen wird (um 850).
Tegernsee (gegr. 719). Herkunftsort des fragmentarisch erhaltenen Versepos' ®"Ruodlieb", das um 1050 für den Hof Heinrichs III. verfasst wurde.
Freising (im bair. Sprachbereich; gegr. 724). In Freising entstand um 765 die Eindeutschung des Synonymenlexikons "Abrogans" (benannt nach dem ersten Stichwort abrogans = demütig). Bischof ®Arbeo von Freising (um 723-83) betätigte sich als Verfasser von Heiligenlegenden. Um 900 entstand hier das ®"Petruslied".
Reichenau (gegr. 724). Wichtiges Missionszentrum, einer der Ausgangspunkte der "Karolingischen Renaissance". Die Klosterbibliothek zählte im 9. Jh. zu den größten des Abendlandes. Hier verfasste Abt ®Walahfrid Strabo seine Heiligenlegenden und -viten, seine Hymnen sowie die "Glossa ordinaria" (Bibelkommentar) und den "Liber de cultura hortorum" (Lehrgedicht über Gartenbau).
Benediktbeuren (gegr. 740). Aus dem Bestand der Klosterbibliothek stammen die ®"Carmina Burana" (Sammlung weltl. Lieder, überwiegend mlat.; um 1250).
Fulda (im ostfränkischen Sprachbereich; gegr. 744). Von hier stammen ein Sächsisches Taufgelöbnis (um 780), das ®Hildebrandslied (die Niederschrift eines ahd. Heldenlieds; um 810) und eine Übersetzung der Evangelienharmonie des Tatian. Vom Fuldaer Abt ®Hrabanus Maurus stammen außer Hymnen und Predigten die Enzyklopädie "De rerum naturis" und das Schulwerk zur Klerikerausbildung "De institutione clericorum". Um 830 entstand der altsächs. "Heliand", die von einem Unbekannten nach einer ahd. Übersetzung der Evangelienharmonie des Tatian in ca. 6.000 Stabreimversen abgefasste Geschichte Jesu.
Mondsee (gegr. 748; am gleichnamigen See im österr. Salzkammergut). Aus der Bibliothek des Klosters stammen Fragmente einer Matthäus-Übersetzung, einer Augustinus-Predigt und einer Übersetzung der "De fide catholica" des Isidor von Sevilla.
Wessobrunn (gegr. 753). Das etwa um 800 entstandene "Wessobrunner Gebet" stellt einen Schöpfungsbericht in bairisch gefärbtem AHD. dar.
St. Emmeram (in Regensburg; gegr. 8. Jh.). Auf Rändern und leeren Seiten einer Handschrift des Klosters fanden sich Bruchstücke eines altbairischen Gedichts, das nach einem darin vorkommenden Wort ®"Muspilli" benannt wurde.
Corvey (in Westfalen, gegr. 816). Wahrscheinlich hier entstand um 890 das einem namentl. unbekannten ®Poeta Saxo zugeschriebene Karlsepos "De gestis Caroli Magni". ®Widukind von Corvey verfasste um 960 die "Res gestae Saxonicae".
Gandersheim (gegr. 844). Bekannt durch die 8 Verslegenden, 6 Lesedramen und 2 Geschichtswerke der Nonne ®Hroswith.
Lorsch. Hier entstand – teilweise auf antiken Grundlagen – um 800 das „Lorscher Arzneibuch“ (s. Arzneibuch), ein bedeutsames Handbuch für Ärzte mit Texten zu medizinischen und pharmazeutischen Fragen. Es gilt als das älteste erhaltene Werk dieser Art deutscher Herkunft.