Gemüt
Gemüt (mhd. gemüete; Kollektivum zu muot = Seele, Stimmung, Empfinden). Heutigen Menschen, die seit Generationen zu einer zurückgenommenen Emotionalität erzogen worden sind, erscheinen die Gemütszustände und –äußerungen der Menschen im europäischen MA. als exaltiert, dramatisiert und wahnhaft. Und dies sowohl in positiver wie in negativer Konnotation: hier die selbstlose Hingabe in Nächstenliebe und Mitleid, dort die „unmenschliche“ Grausamkeit bei Hinrichtung und Folter; hier die innige Versenkung in das Leid der Gottesmutter unterm Kreuz, dort die unverhohlene Schadenfreude angesichts des Unglücks eines Mitmenschen; hier das gelebte christliche Ideal der Caritas, dort das brutale Verlachen körperlicher oder sozialer Unterlegenheit; hier das artistische Ideal der hohen Minne, dort die Hassausbrüche des Hexenwahns und des Antijudaismus; hier die übersteigerte Wertschätzung eines Beizvogels, dort die abartige Freude an der Quälerei des „Katzenschindens“; hier der verfeinerte Umgangston bei Hofe, dort die zotigen Sprüche dea „Bauernspiels“. – Die Liste der Beispiele ließe sich schier endlos verlängern.
Es ist anzunehmen, dass die Gemütslage der damaligen Menschen zurückzuführen ist auf die verstörenden Zeitumstände (Hungersnöte, Seuchen, Kriege, Naturkatastrophen usf. und die damit verbundene stete Todesnähe) sowie auf die Absurditäten des christl. Glaubens, nach welchem ein liebender Gott seine Geschöpfe in Versuchung - und somit möglicherweise in die Verdammnis - führen konnte.
(s. Angst; Antisemitismus; Bauernverspottung; Blindenwettkampf; Elisabeth (Heilige); Fasnachtsspiel; Fremdheit; Freude (s. vreude); Gemütsleiden (s. Geisteskrankheiten; Glück; Grausamkeit; Hass (s.a, Brunnenvergiftung; Heimweh; Hexenwahn; Höfische Minne; Lachen; Laster; Liebe; Liebeskrankheit; Meinung, Beeinflussung der; Mitleid; Schadenfreude; Schuld (Theol.); Tierquälerei (s. Katzen); Lachen; Seelenschmerzen; Tränen; Trauer; Unglück; Veitstanz; vreude)