Artillerie

Aus Mittelalter-Lexikon
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Artillerie (mhd artolerey, arkeley, arcolie, archiley u.ä., von afrz. artiller = mit Kriegsgerät ausrüsten). bezeichnet – nach franz. Vorbild – seit dem 13. Jahrhundert Kriegsmaschinen, mit denen Geschosse gegen Feinde geschleudert werden können. Ab dem 14. Jahrhundert werden der Artillerie auch Feuerwaffen zugerechnet, vom 16. Jahrhundert an ist der Begriff auf diese eingeengt – schon weil andere Schuss- und Wurfzeuge keine Rolle mehr spielten.) Das „dreistoffige Mehl“ wurde seit dem Ende des 13. Jahrhundert zum „Schießpulver“, nachdem abendländische Praktiker es erstmals als Treibsatz für Geschosse benutzten. Bis die Schießkunst, für die sich erste Belege in Italien (Florenz, 1326), England (1327), Deutschland (Meersburg, 1334) und Frankreich (Cressy, 1346) finden, das Kriegswesen verändern konnte, mussten noch manche technischen Schwierigkeiten überwunden werden: die Treibkraft des Pulvers musste verbessert werden, es mussten Rohre geschmiedet, später gegossen und aufgebohrt werden, die dem starken Gasdruck standhielten, die steinerne (vom 14. Jahrhundert an auch eiserne) Kugel musste möglichst gasdicht vor der Treibladung festgepfropft werden, Kaliber waren zu standardisieren usf.

Die Geschützrohre bestanden aus zwei Abschnitten: dem hinteren, kürzeren und stärker gewandeten „Pulversack“ und dem vorderen „Flug“, der im Laufe der Entwicklung länger wurde, um die Wirkung der Treibgase besser auszunutzen. Ursprünglich wurden die Rohre meist aus langen Eisenstangen zusammengeschmiedet und bekamen Eisenringe wie Fassreifen aufgezogen; seit dem 14. Jahrhundert wurden Glockengießer auch mit der Herstellung von Gussrohren aus Bronze betraut, so etwa Meister Wenzel Kundschafter, der 1372 in Prag außer Glocken auch Kanonenrohre goss. Für Geschützrohre verwendete Bronze bestand aus 85 % Kupfer und 15 % Zusätzen (zusammengesetzt aus 20 Teilen Zinn, 5 Teilen Messing und 10 Teilen Blei), war also härter als die zum Glockenguss verwendete Legierung. Nachdem im Spätmittelalter Gusseisen in größeren Mengen hergestellt wurde, kamen im 16. Jahrhundert auch gusseiserne Geschützrohre auf. Beim Gießvorgang sparte man die Seele des Rohres aus; das genaue Kaliber wurde anschließend auf wasserrad- oder göpelbetriebenen Bohrwerken aufgebohrt.

Kanonenrohre aus dem Spätmittelalter sind uns nur in wenigen Exemplaren erhalten geblieben, da veraltete oder schadhafte Stücke immer wieder umgeschmolzen wurden. Im weiteren Verlauf bildete sich der Spezialberuf der Büchsenmacher heraus.

Als älteste bildliche Darstellung einer bühse (auch Feuertopf genannt) gilt die in der englischen Handschrift „De Notabilitatibus, Sapientiis et Prudentia Regum“ von 1327. Sie zeigt ein Geschütz in Form einer dickbauchigen, enghalsigen Vase, die auf einem vierbeinigen Holzgestell gelagert ist. Als Geschoss dient ein Pfeil („Kugelpfeil“), dessen Schaft mit Leder umwickelt ist. Gezündet wird über ein Zündloch mittels eines Gluthakens.

Ein bei Loshult in Südschweden gefundener, aus Bronze gegossener Geschützlauf von etwa 1 m Länge, dessen Entstehung ins 14. Jahrhundert datiert wird, ist vermutlich der älteste erhaltene Kanonenlauf.

„Katharine“ des Georg von Endorfer

Als ältestes überkommenes Großgeschütz gilt die „Katharine“ des Georg von Endorfer, die 1404 gegossen wurde. Deren Rohr hat bei einer Länge von 3,65 m ein Kaliber von 39 cm und wiegt 4.597 kg. Die Braunschweiger „Faule Mette“ (gegossen 1411) hatte bei einem Rohrgewicht von 8.700 kg ein Kaliber von 67 cm. Die Steinkugel für dieses Geschütz wog 425 kg. (Das Rohr wurde 1787 eingeschmolzen.) Als längste Steinbüchse des Spätmittelalters gilt die von einem osmanischen Büchsenmeister 1464 gegossene: bei einer Länge von 5,81 m verschoss sie Steinkugeln von 63 cm Durchmesser. Die „Pumhart von Steyr“ (Heeresgeschichtliches Museum, Wien), gegossen im 15. Jahrhundert, wiegt 8 t und schoss nach neueren Berechnungen eine fast 700 kg schwere Steinkugel etwa 600 m weit.

Das umständliche und zeitraubende Laden geschah vom Geschützmund her, gezündet wurde mit einem glühenden Draht (dem Gluthaken oder Loseisen), später mit der Lunte durch das zum Pulversack führende Zündloch. Anfänglich wurden die Rohre auf besonderen, von Ochsen gezogenen Transportwagen transportiert, und erst in der Feuerlinie hinter Bohlenschilden auf ihrer „Wiege“, einem Lager aus Balken und Pflöcken, auf dem gewachsenen Boden verkeilt („Legstück“). Erst später kamen fahrbare Gestelle (Lafetten) auf, in denen das Rohr mittels der seitlich herausragenden „Schildzapfen“ eingehängt war (karrenbühse, wagenbühse). Die Schildzapfen lagen etwa in der Höhe des Schwerpunkts des Rohrs und saßen an einem aufgeschobenen Ring, waren angeschmiedet oder angegossen.

Die Verwendung von Pulvergeschützen wird erstmals 1331 erwähnt, als deutsche Truppen das friaulische Städtchen Cividale belagerten, dabei mit ihren Geschützen (ihrer Form wegen "vasa" genannt) jedoch keinen größeren Schaden anrichteten. Als erster Erwähnung für Deutschland gilt die von der Belagerung Meersburgs durch Ludwig IV. (1334). Etwa ab dieser Zeit tauchen in städtischen Rechnungsbüchern vermehrt Ausgaben für Herstellung und Wartung solcher „Büchsen“ auf, ein Zeichen dafür, dass die Bürgerschaft den Wert der neuen Waffe schon zu einer Zeit erkannt hatte, als die Ritter sie noch als ihrer Kampfesweise inadäquat ablehnten.

Die Pulvergeschütze („Bombarden“ oder lautmalerisch „Bumharden“ genannt) setzten sich nur langsam durch, daneben verwendete man weiter die herkömmlichen Schleudergeschütze. Die Schussweiten waren gering und dürften um 1400 bei 200 m gelegen haben. Der Vorteil der Steinbüchse gegenüber einem Schleudergeschütz lag in der horizontalen Flugbahn der Kanonenkugel und der daraus resultierenden größeren mauerbrechenden Wirkung. Die Stücke wurden von zünftigen Büchsenmeistern samt deren Tross ins Feld geführt und bedient. Während des Transports lagen die schweren Rohre zu mehreren auf Lastwagen. Auf weiteren Wagen folgten die „Wiegen“, Hebezeug, Kanonenkugeln, Schutzschilde und Schießpulver. Wegen der Notwendigkeit, den Kanonenlauf nach einem Schuss vor dem neu Laden erst abkühlen zu lassen, wegen der umständlichen und zeitraubenden Prozedur des Ladens und wegen dem meist erforderlichen Neurichten des „Legstückes“ auf seinem Bett brachten es auch geschickte Büchsenmeister nur auf etwa 3 Schüsse pro Tag.

Im 15. Jahrhundert wurden die bis dahin gebräuchlichen Steinkugeln (bühsensteine) allmählich durch Kugeln aus Bronze, Eisen oder Blei ersetzt. Gusseiserne Büchsenkugeln fertigte als erster in Deutschland der Augsburger Stückgießer Hans Aarau (1378). Sogenannte Hagelgeschosse wurden im Spätmittelalter aus Haubitzen und Klotzbüchsen verschossen. (s. Geschütztypen)

Im Spätmittelalter entstanden technische Bilderhandschriften, welche Kriegs- und Waffentechnik, Handwerks- und Ingenieurskünste und allerlei mechanische Spielereien anschaulich machten (siehe Feuerwerksbücher, Konrad Kyeser).

Nicht selten war das Zerspringen von Büchsen mit fatalen Folgen für die Mannschaft. So krepierten beispielsweise 1437 bei der Belagerung von Burg Freudenberg (bei Ragaz) durch die Zürcher zwei große Büchsen.

Patronin der Artilleristen war die Heilige Barbara, die Helferin auch bei Blitzgefahr.

Siehe auch